BAG – 6 AZR 664/02

Fälligkeit eines Rückzahlungsanspruchs aus Überzahlung

Bundesarbeitsgericht,  Urteil vom 19.02.2004, 6 AZR 664/02
Tenor:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 14. März 2002 – 9 Sa 856/01 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt wurde, an die Klägerin 2.597,96 DM brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
  2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Klägerin zur Rückzahlung überzahlten Ortszuschlags.
Die Klägerin ist bei der Beklagten als Sozialarbeiterin beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis ist die Geltung des BAT-O und der ihn ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) geltenden Fassung vereinbart.
Die Klägerin ist geschieden und hat zwei Kinder. Ihr am 28. Dezember 1968 geborener Sohn lebt und studiert in Berlin. Ihre am 1. Mai 1978 geborene Tochter lebt und studiert in Halle. Sie hatte bis einschließlich 30. November 1998 ihren Hauptwohnsitz in der Wohnung der Klägerin und zugleich einen Nebenwohnsitz in Halle, Steinweg 16. Am 1. Dezember 1998 bezog sie eine Wohnung in Halle, Geiststraße 51 und meldete diese Wohnung als Hauptwohnsitz an. In ihr lebt sie mit ihrem Lebenspartner und dem gemeinsamen, im Juli 1999 geborenen Kind. An ihre Tochter zahlt die Klägerin monatlich 550,00 DM an Unterhalt.
Bis zum 30. September 2000 bezog die Klägerin den Ortszuschlag der Stufe 2. Diese erhalten ua. Angestellte, die eine andere Person nicht nur vorübergehend in ihrer Wohnung aufgenommen haben und ihr Unterhalt gewähren, weil sie hierzu gesetzlich verpflichtet sind (§ 29 Abschnitt B Abs. 2 Nr. 4 BAT-O). Nach Satz 3 dieser Tarifvorschrift gilt als in die Wohnung aufgenommen auch ein Kind des Angestellten, wenn es der Angestellte auf seine Kosten anderweitig untergebracht hat, ohne dass hierdurch die häusliche Verbindung mit ihm aufgehoben werden soll.
Nach dem der Beklagten durch Übersenden einer Haushaltsbescheinigung des Einwohnermeldeamtes vom 5. September 2000 erstmals der neue Hauptwohnsitz der Tochter bekannt geworden war, wies sie die Klägerin mit Schreiben vom 7. September 2000 darauf hin, dass sie seit dem 1. Dezember 1998 zu Unrecht einen Ortszuschlag der Stufe 2 beziehe und bezifferte mit Schreiben vom 14. Februar 2001 die entsprechende Rückforderung mit insgesamt 3.635,32 DM brutto. Von den Bezügen der Klägerin für den Monat März 2001 behielt die Beklagte 3.766,88 DM brutto ein.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie habe die Ortszuschläge der Stufe 2 zu Recht erhalten. Sie habe an ihre Tochter auch nach dem 1. Dezember 1998 Unterhalt gezahlt und die Kosten für deren Wohnung getragen. Die Tochter habe sich allerdings überwiegend in der Wohnung der Klägerin aufgehalten. Der Ortszuschlag sei für den Unterhalt des Sohnes, der Tochter und des Enkelkindes verbraucht worden.
Ein Rückzahlungsanspruch sei außerdem verfallen. Die Beklagte habe die Ausschlussfrist des § 70 BAT-O versäumt und im Übrigen bei der Aufrechnung ihre Unterhaltspflichten nicht berücksichtigt.
Die Klägerin hat beantragt die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.766,88 DM brutto nebst 5 % Zinsen oberhalb des Basiszinssatzes nach § 1 DÜG seit dem 15. März 2001 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, die Klägerin habe seit dem 1. Dezember 1998 keinen Anspruch mehr auf die Zahlung eines Ortszuschlags der Stufe 2. Mit dem Auszug der Tochter aus der Wohnung der Klägerin und der Begründung eines eigenen Hausstandes sei die häusliche Lebensgemeinschaft aufgehoben worden. Da die Klägerin ihrer Tochter lediglich Unterhalt gewähre liege auch keine anderweitige Unterbringung iSd. Tarifvorschrift vor. Die Klägerin habe es pflichtwidrig unterlassen, die Änderung ihrer familiären Verhältnisse mitzuteilen.
Der Rückzahlungsanspruch sei daher nicht bereits mit der Überzahlung fällig geworden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage bis auf einen Betrag von 170,06 DM brutto stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 2.597,96 DM brutto verurteilt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision der Beklagten verfolgt diese ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.
 
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil war, soweit in ihm die Beklagte zur Zahlung von 2.597,96 DM brutto an die Klägerin verurteilt wurde, aufzuheben und an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
I. Die Beklagte hat in der Zeit von Dezember 1998 bis einschließlich September 2000 den sich aus der Differenz der Ortszuschläge Stufe 1 und 2 ergebenden Bruttobetrag ohne rechtlichen Grund geleistet (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB). Inwieweit die Klägerin auch infolge der zu Unrecht erfolgten Entrichtung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge etwas erlangt hat, kann mangels tatrichterlicher Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB kann sich die Klägerin nicht berufen. Der Rückzahlungsanspruch ist nicht gemäß § 70 BAT-O verfallen.
1. Die Klägerin hat ab dem 1. Dezember 1998 keinen Anspruch mehr auf Zahlung eines monatlichen Ortszuschlags der Stufe 2. Seit dem liegen die tariflichen Voraussetzungen für die Gewährung dieses Ortszuschlags nicht mehr vor.
Nach dieser Bestimmung wird der Ortszuschlag der Stufe 2 u.a. an solche Angestellte gezahlt, die eine andere Person nicht nur vorübergehend in ihrer Wohnung aufgenommen haben und ihr Unterhalt gewähren. Bei einem Kind des Angestellten ist diese Voraussetzung auch erfüllt, wenn es der Angestellte auf seine Kosten anderweitig untergebracht hat, ohne hierdurch die häusliche Verbindung aufzugeben.
Keine dieser Voraussetzungen waren bei der Klägerin ab dem 1. Dezember 1998 mehr gegeben. Seit dem hat ihre Tochter eine eigene Wohnung bezogen und als Hauptwohnsitz gemeldet. In dieser Wohnung lebt sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten und seit Juli 1999 auch mit dem gemeinsamen Kind. In einer Wohnung „nicht nur vorübergehend … aufgenommen“ iSd. § 29 Abschn. B Abs. 2 Nr. 4 BAT-O ist eine andere Person nur dann, wenn die Wohnung auch für den Aufgenommenen zum Mittelpunkt der Lebensbeziehung wird und es zur Bildung einer häuslichen Gemeinschaft kommt (vgl. Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau BAT § 29 Erl. 8.3; Clemens/ Scheuring/Steingen/Wiese BAT § 29 Erl. 5.4). Allein durch häufige Besuche unter Verwandten kann eine solche Gemeinschaft weder begründet noch fortgesetzt werden.
Auch eine anderweitige Unterbringung iSd der Tarifvorschrift fehlt. Eine solche setzt den Erhalt der häusliche Verbindung voraus, wie das bei Kindern, die etwa wegen des Studiums oder eines Internatsaufenthalts vorübergehend abwesend sind, der Fall sein kann. Hierfür genügt allein die Zahlung von Unterhalt nicht (vgl. Uttlinger/Breier/Kiefer/ Hoffmann/Dassau BAT § 29 Erl. 8.3). Denn durch die anderweitige Unterbringung darf sich der Mittelpunkt der Lebensbeziehung nicht schwerpunktmäßig an den Unterbringungsort verlagern.
2. Der Klägerin stand demnach in der Zeit von Dezember 1998 bis einschließlich September 2000 lediglich der Ortszuschlag der Stufe 1 zu. Die Beklagte hat die Differenz zwischen der Bruttovergütung nach dem Ortszuschlag der Stufe 1 und dem der Stufe 2 ohne Rechtsgrund geleistet. Ob sich ein darauf gerichteter Erstattungsanspruch auch auf die davon zu Gunsten der Klägerin abgeführten Gesamtsozialversicherungsbeiträge erstreckt oder sich auf Übertragung eines der Klägerin gegenüber dem Versicherungsträger zustehenden Erstattungsanspruchs (§ 26 SGB IV) beschränkt, kann auf Grund fehlender tatrichterlicher Feststellungen nicht entschieden werden.
a) Nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB ist derjenige, der durch Leistung etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat, zu Herausgabe verpflichtet. Ist Inhalt der Vergütungsvereinbarung eine Geldleistung, bezieht sich die Verpflichtung des Arbeitgebers auf Zahlung einer bestimmten Summe Geldes, den sog. Bruttobetrag. Dieser unterliegt öffentlich-rechtlichen Abzügen. Gleichwohl schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den gesamten Bruttobetrag. Die arbeitsrechtliche Vergütungspflicht erstreckt sich nicht nur auf die Nettoauszahlung, sondern umfasst auch die Leistungen, die nicht in einer unmittelbaren Auszahlung an den Arbeitnehmer bestehen (BAG 7. März 2001 – GS 1/00 – BAGE 97, 150).Dazu zählen auch die Beträge der Arbeitnehmeranteile, die der Beschäftigte in allen Teilen der Sozialversicherung zu tragen hat. Der Arbeitgeber hat ihm hierzu den in Geld ausgedrückten entsprechenden Vermögenswert zu verschaffen.
Dieser Wert kommt dem Arbeitnehmer auf Grund einer Leistung des Arbeitgebers in der Sozialversicherung unmittelbar zugute. Fehlt es an einer entsprechenden Leistungspflicht des Arbeitgebers, erlangt der Arbeitnehmer nicht nur die Auszahlung des entsprechenden Nettolohns und im Umfang der abgeführten Steuern eine entsprechende Befreiung einer gegenüber dem Fiskus bestehenden Steuerschuld, sondern auch durch die Abführung der Arbeitnehmeranteile an die Sozialversicherung eine Leistung ohne Rechtsgrund (BAG 29. März 2001 – 6 AZR 653/99 – AP SGB IV § 26 Nr. 1 = EzA BGB § 812 Nr. 7).
b) Nach § 818 Abs. 1 BGB erstreckt sich die Herausgabepflicht auf das Erlangte.
Kann das nicht herausgegeben werden, hat der Bereicherungsschuldner den Wert zu ersetzen (§ 818 Abs. 2 BGB). Erlangt hat die Klägerin neben dem an sie ausgezahlten Entgelt und der Befreiung von der entsprechenden Steuerschuld auch den Erstattungsanspruch nach § 26 Abs. 1 SGB IV, der nach § 26 Abs. 2 SGB IV allein ihr zusteht.
Daher hat die Beklagte gegen die Klägerin einen Anspruch auf Abtretung dieses gegen die Sozialversicherungsträger gerichteten Anspruchs. Ist dessen Übertragung auf die Beklagte nicht möglich, weil der Klägerin etwa die zu Unrecht entrichteten Beiträge bereits ausgezahlt wurden, hat sie den Anspruch zu ersetzen. Nur in diesem Fall könnte ein Zahlungsanspruch überhaupt bestehen. Die hierfür erforderlichen Feststellungen muss das Landesarbeitsgericht zunächst treffen.
3. Soweit sich die Klägerin darauf beruft, sie habe die überzahlten Teile des Ortszuschlags für den Unterhalt ihrer Tochter verwendet, ist sie nicht entreichert (§ 818 Abs. 3 BGB).
Nach dieser Vorschrift ist der Bereicherungsanspruch ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Von einer fortbestehenden Bereicherung ist aber auszugehen, wenn der Bereicherungsschuldner mit der Ausgabe des Erlangten anderweitige Ausgaben erspart hat. Dies gilt auch bei überzahltem Lohn oder Gehalt (BAG 18. September 1986 – 6 AZR 517/83 – BAGE 53, 77; 18. Januar 1995 – 5 AZR 817/93 – BAGE 79, 115). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin die Überzahlung eingesetzt, um einer gesetzlichen Unterhaltspflicht ihrer Tochter gegenüber zu genügen. Sie hat sich hierdurch notwendige Ausgaben zur Erfüllung der ihr obliegenden Unterhaltspflicht erspart. Ihr persönliches Vermögen ist im Umfang der zu Unrecht erlangten Ortszuschläge nicht geschmälert worden. Ihre Bereicherung besteht demnach fort.
4. Entgegen der Rechtsansicht des Landesarbeitsgerichts ist der Rückzahlungsanspruch nicht gemäß § 70 BAT-O verfallen. Die Beklagte hat ihn rechtzeitig geltend gemacht.
a) Nach § 70 Satz 1 BAT-O verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist.
Die Forderung auf Rückzahlung überzahlter Lohn- und Gehaltsbeträge unterliegt den tariflichen Ausschlussfristen. Der Ortszuschlag ist nach § 26 Abs. 1 BAT-O Teil der einem Angestellten zustehenden Vergütung (vgl. BAG 21. Januar 1988 – 6 AZR 560/87 – AP BAT § 29 Nr. 7).
b) Der Erstattungsanspruch der Beklagten ist anteilig mit der jeweiligen Überzahlung in den Monaten Dezember 1998 bis September 2000 entstanden. Er ist jedoch erst im September 2000 fällig geworden, als die Beklagte erstmals von der Aufhebung der häuslichen Lebensgemeinschaft der Klägerin mit ihrer Tochter Kenntnis erlangte.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird der Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Vergütungsbeträge in der Regel bereits im Zeitpunkt der Überzahlung fällig, wenn die Vergütung fehlerhaft berechnet worden ist, obwohl die maßgebenden Umstände bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen.
Die zu viel gezahlte Summe kann sofort zurückverlangt werden. Auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Rückzahlungsanspruch kommt es nicht an. Fehler bei der Berechnung der Löhne fallen im Normalfall in seine Sphäre und können von ihm eher durch Kontrollmaßnahmen entdeckt werden als vom Empfänger der Leistung (st. Rspr. 16. November 1989 – 6 AZR 114/88 – BAGE 63, 246, 253).
bb) Bei einer Gehaltsüberzahlung können aber besondere Umstände dazu führen, das Entstehens- und Fälligkeitszeitpunkt des Rückzahlungsanspruchs nicht übereinstimmen.
Solche liegen vor, wenn es dem Gläubiger des Rückzahlungsanspruchs praktisch unmöglich ist, den Anspruch mit seinem Entstehen geltend zu machen. Das ist insbesondere der Fall, wenn die rechtsbegründenden Tatsachen in der Sphäre des Schuldners liegen und der Gläubiger es nicht durch schuldhaftes Zögern versäumt hat, sich Kenntnis von den Voraussetzungen zu verschaffen, die er für die Geltendmachung benötigt (BAG 16. November 1989 – 6 AZR 114/88 – BAGE 63, 246, 254).
cc) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann der Beklagten ein solcher Vorwurf nicht gemacht werden. Für die Prüfung zum Wegfall der Voraussetzungen für die Gewährung des Ortszuschlags der Stufe 2 nach § 29 Abschnitt B Abs. 2 Nr. 4 BAT-O ist ein öffentlicher Arbeitgeber auf entsprechende Informationen des Angestellten angewiesen. Er ist ansonsten aus eigenem Wissen nicht in der Lage, entsprechend den persönlichen Verhältnissen des Angestellten die tarifliche Vergütung korrekt zu berechnen. Seiner Sorgfaltspflicht genügt er jedenfalls dann, wenn er den Arbeitnehmer in regelmäßigen Abständen auf dessen Pflicht hinweist, alle erfolgten und für den Zahlungsanspruch maßgeblichen Änderungen mitzuteilen. Die Beklagte hatte die Klägerin in den jeweiligen Erklärungen zur Berechnung des Orts-, Sozial- oder Anwärterverheiratetenzuschlag vom 2. Dezember 1991, vom 24. August 1994, vom 30. Oktober 1996 und vom 14. Oktober 1998 jeweils auf die Pflicht aufmerksam gemacht, jede Änderung der in der Erklärung bekundeten Verhältnisse der Beschäftigungsdienststelle gegenüber sofort anzuzeigen verbunden mit dem Hinweis, dass bei Verletzung der Mitteilungspflicht überzahlte Bezüge zu erstatten sind. In der Erklärung vom 19. September 2000 hatte die Klägerin die Frage nach der Aufnahme anderer Personen einschließlich eigener Kinder und nach entsprechender Unterhaltsgewährung mit „ja, seit 1996“ beantwortet. Die Frage nach der anderweitigen Unterbringung eines unterhaltsberechtigten Kindes hat sie nicht beantwortet. Damit waren die Angaben der Klägerin in dieser Erklärung objektiv falsch. Von der Beklagten kann nicht verlangt werden, durch weitere zusätzliche Nachfragen den Wahrheitsgehalt der Angaben zu erforschen. Vielmehr hätte es an der Klägerin gelegen, die eingetretene Änderung in den persönlichen Verhältnissen ihrer Tochter mitzuteilen, um der Beklagten eine Prüfung der Rechtslage zu ermöglichen. Unabhängig davon, dass ansonsten nur mit einer halbjährlichen Nachfrage eine Versäumung der Ausschlussfristen verhindert werden könnte, würde ein solcher Überprüfungszeitraum die Anforderungen an die Erkundungspflicht des Arbeitgebers überspannen. Halbjährliche oder jährliche Nachfragen in Form eines dauerhaften Kontrollsystems neben regelmäßigen Hinweisen auf den Umfang den einen Arbeitnehmer treffenden Mitteilungspflicht sind nicht geboten (vgl. BAG 16. November 1989 – 6 AZR 114/88 – BAGE 63, 246, 255).
II. Ob die Beklagte bei der Verrechnung ihres Anspruchs mit der Bruttolohnforderung die Aufrechnungsvoraussetzungen des § 387 BGB und insbesondere die Pfändungsbeschränkungen des § 394 BGB beachtet hat, kann das Revisionsgericht nach den bisherigen tatrichterlichen Feststellungen ebenfalls nicht beurteilen.
1. Grundsätzlich kann der Arbeitgeber gegen eine Nettolohnforderung des Arbeitnehmers aufrechnen. Erklärt er, wie hier die Aufrechnung gegen eine Bruttoforderung, kann es an der Gegenseitigkeit der Forderungen (§ 387 BGB) fehlen. Denn der Arbeitnehmer ist zwar Gläubiger der Bruttolohnforderung, jedoch richtet sie sich hinsichtlich der auf die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und die Steuer entfallenden Teile auf Zahlung an das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger (vgl. BAG 7. März 2001 – GS 1/00 – BAGE 97, 150). Insoweit kommt lediglich eine Aufrechnung gegen die jeweilige Nettolohnforderung in Betracht. Diesen Nettoteil hat das Landesarbeitsgericht festzustellen.
2. Das Landesarbeitsgericht wird weiter zu prüfen haben, ob und inwieweit für die aufrechenbaren Lohnteile der Aufrechnungsschutz des § 394 BGB greift. Danach findet die Aufrechnung gegen die Forderung nicht statt (§ 394 BGB), soweit die Forderung nicht der Pfändung unterworfen ist. Hierauf hat sich die Klägerin berufen. Ihrem Vorbringen hinsichtlich bestehender Unterhaltspflichten beiden Kindern gegenüber ist das Landesarbeitsgericht wegen des von ihm angenommenen Verfalls des Erstattungsanspruchs nicht nachgegangen. Die zur Entscheidung dieser Frage erforderlichen Feststellungen muss es daher noch treffen.
 
Schmidt       Dr. Armbrüster       Brühler
Kapitza       M. Schilling
 
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Fundstellen:
DB 2004, 1946