BAG – 8 AZR 208/21 (A)

ECLI:DE:BAG:2022:240222.B.8AZR208.21A.0

Diskriminierung wegen des Alters – Rechtfertigung

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 24.02.2022, 8 AZR 208/21 (A)

Leitsätze des Gerichts

Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Frage ersucht:

Können Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und/oder Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG – im Licht der Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) sowie im Licht von Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) – dahin ausgelegt werden, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann?

Tenor

I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Frage ersucht:
Können Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und/oder Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG – im Licht der Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) sowie im Licht von Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) – dahin ausgelegt werden, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann?
II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

 

Entscheidungsgründe
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG im Licht von Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (im Folgenden UN-BRK) sowie im Licht der Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden Charta).
2
Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Klägerin und einem Assistenzdienst, der Menschen mit Behinderung Beratung, Unterstützung und Leistungserbringung anbietet (im Folgenden Beklagte). Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin wegen einer Benachteiligung wegen ihres Alters im Rahmen eines Stellenbesetzungsverfahrens eine Entschädigung zu zahlen.
A. Rechtlicher Rahmen

I. Völkerrecht

3
In der UN-BRK heißt es auszugsweise:

„Präambel

Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens –

c) bekräftigend, dass alle Menschenrechte und Grundfreiheiten allgemein gültig und unteilbar sind, einander bedingen und miteinander verknüpft sind und dass Menschen mit Behinderungen der volle Genuss dieser Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung garantiert werden muss,

h) ebenso in der Erkenntnis, dass jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung eine Verletzung der Würde und des Wertes darstellt, die jedem Menschen innewohnen,

j) in Anerkennung der Notwendigkeit, die Menschenrechte aller Menschen mit Behinderungen, einschließlich derjenigen, die intensivere Unterstützung benötigen, zu fördern und zu schützen,

n) in der Erkenntnis, wie wichtig die individuelle Autonomie und Unabhängigkeit für Menschen mit Behinderungen ist, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen,

haben Folgendes vereinbart:

Artikel 1

Zweck

Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.

Artikel 3

Allgemeine Grundsätze

Die Grundsätze dieses Übereinkommens sind:

a)
die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit;

b)
die Nichtdiskriminierung;

c)
die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft;

d)
die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit;

Artikel 5

Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung

(1) Die Vertragsstaaten anerkennen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, vom Gesetz gleich zu behandeln sind und ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz und gleiche Vorteile durch das Gesetz haben.

(4) Besondere Maßnahmen, die zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen erforderlich sind, gelten nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Übereinkommens.

Artikel 12

Gleiche Anerkennung vor dem Recht

(2) Die Vertragsstaaten anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen.

Artikel 19

Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft

Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern, indem sie unter anderem gewährleisten, dass

a)
Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben;

b)
Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen sowie zu sonstigen gemeindenahen Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist;

c)
gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit Menschen mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung zur Verfügung stehen und ihren Bedürfnissen Rechnung tragen.“
II. Unionsrecht

4
In der Charta ist unter anderem bestimmt:

„Artikel 1

Würde des Menschen

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.

Artikel 7

Achtung des Privat- und Familienlebens

Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.

Artikel 21

Nichtdiskriminierung

(1) Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.

Artikel 26

Integration von Menschen mit Behinderung

Die Union anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft.“
5
In der Richtlinie 2000/78/EG heißt es auszugsweise:

„Artikel 1

Zweck

Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.

Artikel 2

Der Begriff ‚Diskriminierung‘

(5) Diese Richtlinie berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

Artikel 4

Berufliche Anforderungen

(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absätze 1 und 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.

Artikel 5

Angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung

Um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, sind angemessene Vorkehrungen zu treffen. …

Artikel 6

Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters

(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a)
die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

b)
die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;

c)
die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.

Artikel 7

Positive und spezifische Maßnahmen

(1) Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgrunds verhindert oder ausgeglichen werden.

(2) Im Falle von Menschen mit Behinderung steht der Gleichbehandlungsgrundsatz weder dem Recht der Mitgliedstaaten entgegen, Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit am Arbeitsplatz beizubehalten oder zu erlassen, noch steht er Maßnahmen entgegen, mit denen Bestimmungen oder Vorkehrungen eingeführt oder beibehalten werden sollen, die einer Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt dienen oder diese Eingliederung fördern.“

III. Nationales Recht

6
Im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden GG) ist unter anderem bestimmt:

„Artikel 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Artikel 2

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

…“
7
Die einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (im Folgenden AGG) lauten:

„§ 1

Ziel des Gesetzes

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

§ 3

Begriffsbestimmungen

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. …

§ 5

Positive Maßnahmen

Ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 … benannten Gründe ist eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen.

§ 7

Benachteiligungsverbot

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; …

§ 8

Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen

(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

§ 10

Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters

Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

1.
die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen,

2.
die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile,

3.
die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand,

§ 15

Entschädigung und Schadensersatz

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. …

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. …“
8
Im Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (im Folgenden SGB I) heißt es auszugsweise:

„§ 33

Ausgestaltung von Rechten und Pflichten

Ist der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im einzelnen bestimmt, sind bei ihrer Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Dabei soll den Wünschen des Berechtigten oder Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind.“
9
Im Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (im Folgenden SGB IX) ist unter anderem bestimmt:

„§ 8

Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten

(1) Bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen. Dabei wird auch auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen; im Übrigen gilt § 33 des Ersten Buches. …

§ 78

Assistenzleistungen

(1) Zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung werden Leistungen für Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen.

…“
B. Das Ausgangsverfahren

10
Die Beklagte bietet Menschen mit Behinderung unter anderem Assistenzleistungen in verschiedenen Bereichen des Lebens (sog. Persönliche Assistenz) an. Diese Leistungen werden gemäß § 78 Abs. 1 SGB IX zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht und umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen. Im Einklang mit Art. 19 UN-BRK ist mit diesen Assistenzleistungen das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben und dabei unter anderem die Entscheidungsmöglichkeit zu haben, wo und mit wem sie leben. Im Rahmen der Persönlichen Assistenz ist sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderung in den vollen Genuss dieses Rechts kommen und dabei ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft erleichtert wird.
11
Die Beklagte veröffentlichte im Juli 2018 ein Stellenangebot, wonach die 28-jährige Studentin A. weibliche Assistentinnen in allen Lebensbereichen des Alltags suchte, die „am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein“ sollten.
12
Die im März 1968 geborene Klägerin bewarb sich auf diese Stellenausschreibung und erhielt von der Beklagten eine Absage. Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin die Beklagte mit ihrer Klage auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Anspruch genommen.
13
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe sie im Bewerbungsverfahren entgegen den Vorgaben des AGG wegen ihres Alters benachteiligt und sei ihr deshalb nach § 15 Abs. 2 AGG zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet. Die ausdrücklich an Assistentinnen im Alter „zwischen 18 und 30 Jahren“ gerichtete Stellenausschreibung der Beklagten begründe die Vermutung, dass sie, die Klägerin, im Bewerbungsverfahren wegen ihres – höheren – Alters nicht berücksichtigt und damit diskriminiert worden sei. Die Beklagte habe diese Vermutung auch nicht widerlegt. Die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters sei im Assistenzdienst unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt. Sie sei weder nach § 8 Abs. 1 AGG noch nach § 10 AGG zulässig. Ein bestimmtes Alter sei für das Vertrauensverhältnis im Assistenzdienst nicht von Relevanz; im Gegenteil, in einem Fall wie hier könne die Persönliche Assistenz durch einen Menschen mittleren Alters aufgrund größerer Lebenserfahrung erhebliche Vorteile für den behinderten Menschen haben. Bei benachteiligungsfreier Auswahlentscheidung hätte sie, die Klägerin, die Stelle erhalten müssen. Sie habe Erfahrung und sei für die ausgeschriebene Stelle bestens geeignet gewesen.
14
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, eine etwaige Ungleichbehandlung wegen des Alters sei nach § 8 Abs. 1 AGG bzw. nach § 10 AGG gerechtfertigt. Die Assistenztätigkeit betreffe eine höchstpersönliche, allumfassende Alltagsbegleitung mit einer in der Regel ständigen und vollkommenen Abhängigkeit der assistenznehmenden Person von der Assistenzperson und ein ständiges Zusammensein. Im vorliegenden Fall sei ein bestimmtes Alter eine höchstpersönliche Voraussetzung zur Befriedigung der höchstpersönlichen Bedürfnisse der Assistenznehmerin A., damit diese adäquat am sozialen Leben als Studentin an einer Universität teilnehmen könne.
15
Beim Zugang von Menschen mit Behinderung zur Persönlichen Assistenz müsse – wie § 8 Abs. 1 SGB IX dies vorsehe – den berechtigten Wünschen und subjektiven Bedürfnissen der jeweiligen assistenznehmenden Person Rechnung getragen werden, da diese durch die Persönliche Assistenz ständig in ihrer Privat- und Intimsphäre betroffen werde. Vor diesem Hintergrund sei der berechtigte Wunsch der assistenznehmenden Person nach einem bestimmten Alter der Persönlichen Assistenz als wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne von § 8 Abs. 1 AGG anzusehen. Nur so könne der in § 78 Abs. 1 SGB IX angeführte Zweck der Assistenzleistungen, der Ausfluss des durch das Grundgesetz geschützten Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 GG) sei, erreicht werden. Die Anforderung sei auch angemessen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters sei hier auch nach § 10 AGG zulässig, da sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sei und die Mittel zur Erreichung des Ziels der Persönlichen Assistenz im Sinne von § 78 SGB IX angemessen und erforderlich seien.
C. Vorbemerkungen

I. Zum Ausgangspunkt des Vorabentscheidungsersuchens

16
Der Senat geht davon aus, dass eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens grundsätzlich in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG fällt, da sie Auswahlkriterien für den Zugang zu Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG betrifft. Die Charta findet auf einen Rechtsstreit wie den des Ausgangsverfahrens Anwendung, da mit dem AGG die Richtlinie 2000/78/EG im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta im deutschen Recht durchgeführt wird und da der Rechtsstreit eine Person betrifft, die im Rahmen des Zugangs zu einer Beschäftigung eine Ungleichbehandlung wegen ihres Alters erfahren hat (vgl. auch EuGH 17. April 2018 – C-414/16, EU:C:2018:257 – [Egenberger] Rn. 49).
17
Die Klägerin ist durch die Absage der Beklagten unmittelbar benachteiligt worden im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG sowie im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG. Auch hat sie diese unmittelbare Benachteiligung wegen ihres Alters erfahren. Die Stellenausschreibung der Beklagten, mit der eine Person im Alter zwischen ungefähr 18 und 30 Jahren gesucht wurde, begründet die Vermutung, dass das Alter der Klägerin (mit)ursächlich für die Ablehnung war. Diese Vermutung hat die Beklagte nicht widerlegt.
18
Dabei geht der Senat mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs davon aus, dass sich sowohl aus dem Titel und den Erwägungsgründen als auch aus dem Inhalt und der Zielsetzung der Richtlinie 2000/78/EG ergibt, dass diese einen allgemeinen Rahmen schaffen soll, der gewährleistet, dass jeder „in Beschäftigung und Beruf“ gleichbehandelt wird, indem sie dem Betroffenen einen wirksamen Schutz vor Diskriminierungen aus einem der in ihrem Art. 1 genannten Gründe bietet (vgl. etwa EuGH 10. Februar 2022 – C-485/20, EU:C:2022:85 – [HR Rail] Rn. 26 mwN; 21. Oktober 2021 – C-824/19, EU:C:2021:862 – [Komisia za zashtita ot diskriminatsia] Rn. 35; 12. Oktober 2010 – C-499/08, EU:C:2010:600 – [Ingeniørforeningen i Danmark] Rn. 19), zu denen unter anderem das Alter zählt. Die Richtlinie 2000/78/EG konkretisiert in dem von ihr erfassten Bereich das nunmehr in Art. 21 der Charta niedergelegte allgemeine Diskriminierungsverbot (vgl. etwa EuGH 10. Februar 2022 – C-485/20, EU:C:2022:85 – [HR Rail] Rn. 27 mwN; 17. April 2018 – C-414/16, EU:C:2018:257 – [Egenberger] Rn. 47).
19
Nach den Bestimmungen der Richtlinie 2000/78/EG sowie nach Art. 21 der Charta kann die Klägerin, die Beschäftigung sucht, einen wirksamen Schutz vor Diskriminierung wegen ihres Alters beanspruchen. Menschen mit Behinderung, die – wie die 28-jährige Studentin A. – eine Persönliche Assistenz suchen, können nach Art. 21 der Charta einen wirksamen Schutz vor Diskriminierung wegen ihrer Behinderung beanspruchen. Zudem greift zu ihren Gunsten Art. 26 der Charta ein.
20
In diesem Spannungsfeld, in dem sowohl die Klägerin als auch die betroffene Person mit Behinderung Schutz vor Diskriminierung beanspruchen können, hat der Senat zu prüfen, ob im Ausgangsrechtsstreit eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt ist. Wie in der strukturell besonderen Situation der Persönlichen Assistenz das Recht des Menschen mit Behinderung, der Persönliche Assistenz benötigt und eine solche mit einer Stellenausschreibung sucht, und das Recht des Menschen, der – wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens – Beschäftigung sucht und dabei nicht diskriminiert werden darf, zum Ausgleich zu bringen sind, kann ohne Vorabentscheidungsersuchen nicht beurteilt werden. Falls die unmittelbare Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Alters nicht gerechtfertigt sein sollte, hätte sie einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
21
Soweit der Senat seinen Ausführungen eine bestimmte Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2000/78/EG zugrunde legt, wird der Gerichtshof, sofern diese Auslegung unzutreffend sein sollte, über die Beantwortung der Vorlagefrage hinaus um einen entsprechenden Hinweis gebeten.
II. Zur Situation bei Persönlicher Assistenz

22
Aus der Sicht des Senats ist es zur rechtlichen Beurteilung bedeutsam, sich zunächst die besondere Situation Persönlicher Assistenz vor Augen zu führen, die im Folgenden unter Berücksichtigung einschlägiger Bestimmungen des nationalen Sozialrechts dargestellt wird.
23
In Deutschland werden Leistungen der Persönlichen Assistenz im Sinne von unter anderem § 78 SGB IX nach verschiedenen rechtlichen Vorgaben in Abhängigkeit von dem individuellen Assistenzbedarf von unterschiedlichen Leistungsträgern (unter anderem gesetzliche Rehabilitationsträger – wie die gesetzlichen Krankenkassen, die Bundesagentur für Arbeit, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung -, Pflegekassen, Integrationsämter, staatliche Kinder- und Jugendhilfe, staatliche Sozialhilfe) bewilligt und finanziert. Dabei können die durch die oben genannten Leistungsträger bewilligten Leistungen der Persönlichen Assistenz organisatorisch in unterschiedlichen Modellen erbracht werden: Teilweise werden sie von den assistenznehmenden Menschen mit Behinderung im sogenannten Arbeitgebermodell selbst organisiert und abgerechnet, teilweise bedienen sich die assistenznehmenden Personen der organisatorischen Hilfe einer Assistenzgenossenschaft bzw. von Assistenz- oder Pflegediensten, die die Personalsuche und Arbeitgebereigenschaft in Abstimmung mit ihnen für sie übernehmen. Konkret wird die Persönliche Assistenz häufig durch Teams im Schichtdienst erbracht.
24
Die Persönliche Assistenz betrifft sämtliche Lebensbereiche und reicht – zwangsläufig – tief in die Privat- und Intimsphäre der assistenzbedürftigen/-nehmenden Person hinein. Dies gilt unabhängig davon, ob Persönliche Assistenz „rund um die Uhr“ oder in einem geringeren Umfang erbracht wird. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann Bedarf an Persönlicher Assistenz in der Wohnung, im Familienhaushalt, bei der Arbeit, in der Ausbildung oder Schule, bei Arztbesuchen und Behördengängen, in der Freizeit, bei Treffen im Familien- und Freundeskreis, bei Besuchen von etwa Theater, Kino, Restaurants, Clubs, beim Sport, auch im Urlaub und auf Reisen bestehen. Konkret geht es unter anderem um Mobilität in allen Bereichen, Begleitung im Straßenverkehr, Assistenz im Haushalt und beim Einkauf, Assistenz bei der Körperpflege und -hygiene einschließlich der Begleitung bei Toilettengängen und Unterstützung beim An- und Ausziehen. Die Assistentinnen und Assistenten haben regelmäßig Einblick in alle Lebensbereiche der betroffenen Person, teilweise auch in solche, die ansonsten weder engen Freunden noch Angehörigen zugänglich sind (vgl. Köpcke Soziale Arbeit 2016, 289, 290). In einer Situation wie der des Ausgangsfalls kann sich Assistenz in der Universität auf die Aufnahme und Verarbeitung der Studieninhalte beziehen und konkret beispielsweise das Anfertigen von Mitschriften einschließen. Bei jedem Zusammentreffen mit anderen Studierenden ist – je nach den Umständen des Einzelfalls – zwangsläufig Persönliche Assistenz erforderlich, die damit integraler Bestandteil des universitären Lebens des betroffenen Menschen mit Behinderung, hier der 28-jährigen Studentin A. ist.
25
Persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderung ist eine Dienstleistung, die Selbstbestimmung (vgl. oben Rn. 9 zu § 78 SGB IX), Teilhabe und Inklusion ermöglicht (vgl. Müller Persönliche Assistenz S. 15 f., 22 ff.). Das Konzept der Persönlichen Assistenz basiert auf dem Leitbild der Selbstbestimmung und unterscheidet sich grundlegend von einer Versorgung durch institutionalisierte stationäre oder ambulante Einrichtungen und Pflegedienste. Persönliche Assistenz ist darauf gerichtet, Menschen mit Behinderung zu befähigen, ihr eigenes Leben selbstbestimmt zu gestalten und zu organisieren; soweit dabei Anspruch auf staatliche Leistungen besteht, sollen die erforderlichen Ressourcen für ein selbstbestimmtes Leben zur Verfügung gestellt werden (Müller Persönliche Assistenz S. 53 f.). In diesem Zusammenhang werden im Schrifttum auf Seiten der assistenznehmenden Person die Personalkompetenz (selbstbestimmte Personalauswahl), die Anleitungskompetenz (Kompetenz, das ausgewählte Personal – abgestimmt auf die je eigenen Erfahrungen mit der Beeinträchtigung – selbst anzuleiten) und die Organisationskompetenz (Kompetenz, die Einsatzorte und -zeiten und den Umfang der Dienstleistung selbst zu bestimmen) als einige der zentralen Elemente des Konzepts der Persönlichen Assistenz genannt (vgl. etwa Müller Persönliche Assistenz S. 21 f.; Köpcke Soziale Arbeit 2016, 289, 290, jeweils mwN).
III. Zu § 8 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I – Wunsch- und Wahlrecht des Menschen mit Behinderung
26
In Deutschland ist bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe nach § 8 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen, soweit sie angemessen sind. Nach § 8 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I ist unter anderem auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht zu nehmen. Nach der Gesetzesbegründung zu § 78 Abs. 2 SGB IX (BT-Drs. 18/9522 S. 262) sind bei der Gestaltung der Leistungen der Persönlichen Assistenz die Wünsche der Leistungsberechtigten zu berücksichtigen, soweit sie angemessen sind. In diesem Rahmen kann die leistungsberechtigte Person über den Leistungsanbieter sowie in Absprache mit ihm über die Person des Assistenten oder der Assistentin, über Art, Zeiten, Ort und Ablauf der Assistenzleistungen entscheiden.
27
Mit dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten soll dem Anspruch behinderter Menschen auf eine möglichst weitgehend selbstbestimmte und eigenverantwortliche Gestaltung ihrer Lebensumstände Rechnung getragen und die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen sowie ihre Motivation zur Teilhabe gestärkt werden (BT-Drs. 14/5074 S. 94, 100).
28
Als berechtigt werden Wünsche angesehen, die sich an den vom Leistungsrecht vorgegebenen Rahmen und die mit der Leistung verfolgten Zielsetzungen sowie an sonstige Vorgaben halten, etwa an das für die Rehabilitationsträger geltende Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie die Pflicht, Leistungen nur in geeigneten Einrichtungen zu erbringen. Entscheidend ist demnach, dass den Wünschen keine derartigen Vorgaben entgegenstehen (Joussen in LPK-SGB IX 6. Aufl. § 8 Rn. 6 mwN).
IV. Zur Einbindung Persönlicher Assistenz im Rahmen der Bestimmungen der UN-BRK, der Charta und im einschlägigen nationalen Recht
1. Einbindung Persönlicher Assistenz in der UN-BRK

29
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Richtlinie 2000/78/EG nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit der UN-BRK, die Bestandteil der Unionsrechtsordnung ist, auszulegen (EuGH 11. September 2019 – C-397/18, EU:C:2019:703 – [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 39 f. mwN).
30
Nach Art. 19 UN-BRK („Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft“) anerkennen die Vertragsstaaten der UN-BRK das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben. Die Vertragsstaaten treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern. Dies schließt wirksame und geeignete Maßnahmen ein, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben unter anderem zu entscheiden, mit wem sie leben. In diesem Kontext wird gewährleistet, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der Persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist. Art. 19 UN-BRK enthält nach Auffassung des Senats konkrete Vorgaben zur Verwirklichung der in der Präambel der UN-BRK aufgezeigten grundlegenden Vorgaben der Menschenrechte einschließlich der Menschenwürde, für deren vollen Genuss nach der Präambel die individuelle Autonomie und Unabhängigkeit der Menschen mit Behinderungen notwendig ist. Hierzu gehört auch die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen.
31
In den zu Art. 19 UN-BRK vom UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen unter der Überschrift „Zum selbstbestimmten Leben und Inklusion in die Gemeinschaft“ verabschiedeten Allgemeinen Bemerkungen ist definiert, dass „Selbstbestimmt Leben“ bedeutet, dass „Menschen mit Behinderungen alle notwendigen Mittel gewährt werden, die es ihnen ermöglichen, Wahlfreiheit und Kontrolle über ihr Leben auszuüben und alle Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, zu treffen. Persönliche Autonomie und Selbstbestimmung sind von grundlegender Bedeutung für ein selbstbestimmtes Leben; dies umfasst auch Zugang zu Beförderung, Informationen, Kommunikation und persönlicher Assistenz, Wohnort, Tagesablauf, Gewohnheiten, menschenwürdige Beschäftigung, persönliche Beziehungen, Kleidung, Ernährung, Körperpflege und Gesundheitsversorgung, religiöse Aktivitäten, kulturelle Aktivitäten sowie sexuelle und reproduktive Rechte. Diese Aktivitäten stehen im Zusammenhang mit der Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung: Es geht darum, wo wir leben und mit wem, was wir essen, ob wir gerne ausschlafen oder abends gerne spät ins Bett gehen, ob wir lieber drinnen oder draußen sind, eine Tischdecke und Kerzen auf dem Tisch mögen, Haustiere halten oder Musik hören. Diese Handlungen und Entscheidungen machen uns aus. Selbstbestimmt Leben ist ein wesentlicher Bestandteil der individuellen Autonomie und Freiheit und bedeutet nicht automatisch, alleine zu leben. Selbstbestimmt Leben sollte auch nicht ausschließlich als die Fähigkeit interpretiert werden, alltägliche Tätigkeiten selbst auszuführen. Stattdessen sollte selbstbestimmtes Leben im Einklang mit Artikel 3 (a) des Übereinkommens, in dem die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde und seiner individuellen Autonomie verankert ist, als Freiheit zur Wahlfreiheit und Kontrolle verstanden werden. Selbstbestimmung als eine Form der persönlichen Autonomie bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen nicht ihrer Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich ihres persönlichen Lebensstils und ihres Alltags beraubt werden“ (vgl. Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Allgemeine Bemerkung Nr. 5 zu Art. 19 UN-BRK – CRPD/C/GC/5 – veröffentlicht am 27. Oktober 2017 Abschnitt II Nr. 16 Buchstabe a).
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Durch die gleiche Anerkennung vor dem Recht (Art. 12 UN-BRK) wird sichergestellt, „dass alle Menschen mit Behinderungen das Recht haben, ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit uneingeschränkt auszuüben und so das gleiche Recht auf Wahlfreiheit und Kontrolle über ihr eigenes Leben haben, indem sie entscheiden, wo, mit wem und wie sie leben wollen, sowie das Recht auf Unterstützung im Einklang mit ihrem Willen und ihren Präferenzen. Für die vollständige Verwirklichung des Übergangs zu unterstützter Entscheidungsfindung und für die Umsetzung der in Artikel 12 [UN-BRK] verankerten Rechte ist es unerlässlich, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, ihre Wünsche und ihre Präferenzen zu entwickeln und auszudrücken, damit sie ihre Rechts- und Handlungsfähigkeit gleichberechtigt ausüben können. Damit dies erreicht werden kann, müssen sie ein Teil der Gemeinschaft sein. Darüber hinaus sollte bei der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit Unterstützung mittels eines gemeindenahen Ansatzes, der die Wünsche und Präferenzen von Menschen mit Behinderungen respektiert, geleistet werden“ (vgl. Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Allgemeine Bemerkung Nr. 5 zu Art. 19 UN-BRK – CRPD/C/GC/5 – veröffentlicht am 27. Oktober 2017 Abschnitt IV Nr. 80).
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Zudem spricht nach Auffassung des Senats viel dafür, dass bei der Ausgestaltung der Persönlichen Assistenz im Sinne von § 78 SGB IX auch die in Art. 3 UN-BRK niedergelegten allgemeinen Grundsätze zu beachten sind, nämlich die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde und seiner individuellen Autonomie, sowie der in Art. 1 UN-BRK beschriebene Zweck des Übereinkommens, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.
2. Zu den einschlägigen Vorgaben der Charta

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Auf der Ebene des Unionsrechts wirkt sich aus Sicht des Senats aus, dass die Richtlinie 2000/78/EG, die in dem von ihr erfassten Bereich das nunmehr in Art. 21 der Charta niedergelegte allgemeine Diskriminierungsverbot konkretisiert (vgl. Rn. 18), nicht nur im Licht von Art. 21 der Charta, sondern auch von Art. 26 der Charta auszulegen ist, wonach die Union den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft anerkennt und achtet (vgl. etwa EuGH 21. Oktober 2021 – C-824/19, EU:C:2021:862 – [Komisia za zashtita ot diskriminatsia] Rn. 33). Zudem kann sich in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens auch Art. 7 der Charta auswirken, wonach jede Person das Recht auf Achtung ihres Privatlebens sowie ihrer Wohnung hat. Auch insoweit geht es – wie bereits unter Rn. 4 ausgeführt – um die Gewährleistung der Menschenwürde im Sinne von unter anderem Art. 1 der Charta.
3. Zu Vorgaben im nationalen Recht der Bundesrepublik Deutschland

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Nach § 78 Abs. 1 SGB IX (vgl. oben Rn. 9) werden Leistungen für Assistenz zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen. Dabei ist nach § 8 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I unter anderem auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht zu nehmen (vgl. oben Rn. 8 f.). Diese Bestimmungen sind im Licht von Art. 19 UN-BRK und dem hinter dieser Bestimmung stehenden menschenrechtlichen Ansatz der UN-BRK zu verstehen. Zudem sind, soweit der Anwendungsbereich des Unionsrechts betroffen ist, die oben genannten Bestimmungen der Charta zu berücksichtigen.
D. Zur Vorlagefrage

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Für die Frage, ob die für eine etwaige Rechtfertigung der Benachteiligung der Klägerin wegen des Alters relevanten Regelungen über das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten – hier der assistenznehmenden Person – im deutschen Sozialgesetzbuch (§ 8 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I) mit der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar sind oder nicht, kommt es nach Auffassung des Senats auf das Ziel an, das mit diesen Regelungen bei der Erbringung von Leistungen der Persönlichen Assistenz verfolgt wird. Anhand dieses Ziels ist festzustellen, unter welchen Richtlinienbestimmungen diese Maßnahme zu prüfen ist (vgl. EuGH 12. Januar 2010 – C-341/08, EU:C:2010:4 – [Petersen] Rn. 36 f.).
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Mit dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten soll dem Anspruch behinderter Menschen auf eine möglichst weitgehend selbstbestimmte und eigenverantwortliche Gestaltung ihrer Lebensumstände Rechnung getragen und die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen sowie ihre Motivation zur Teilhabe gestärkt werden (vgl. oben Rn. 27). Da die Persönliche Assistenz sämtliche Lebensbereiche betrifft und zwangsläufig tief in die Privat- und Intimsphäre der assistenzbedürftigen/-nehmenden Person hineinreicht (vgl. Rn. 24), ist es nach Auffassung des Senats zur Gewährleistung der Menschenwürde (Art. 1 der Charta, Art. 1 GG) erforderlich, die Wünsche des jeweiligen Menschen mit Behinderung für die eigene Lebensgestaltung bei Persönlichen Assistenzleistungen zu respektieren und in den Mittelpunkt zu stellen. Deshalb benötigen Menschen mit Behinderung aus Sicht des Senats weitgehende Freiheit in der Auswahl der sie begleitenden Menschen. Wie auch Menschen ohne Behinderung müssen sie die Wahl haben, mit wem sie ihr Leben teilen wollen. Der Senat ist deshalb der Auffassung, dass die Wünsche des jeweiligen Menschen mit Behinderung bei Persönlichen Assistenzleistungen nach einem bestimmten Alter und einem bestimmten Geschlecht der Assistenzperson – soweit im Einzelfall angemessen – zu respektieren sind.
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Dabei macht es aus Sicht des Senats für die hier zu beurteilende Frage der Rechtfertigung der von der Klägerin erfahrenen unmittelbaren Benachteiligung wegen ihres Alters keinen Unterschied, ob die assistenznehmende Person mit Behinderung im sogenannten Arbeitgebermodell selbst ihre Persönliche Assistenz organisiert oder ob – wie hier – eine Assistenzgenossenschaft bzw. ein Assistenz- oder Pflegedienst (vgl. oben Rn. 23) dies in Abstimmung mit ihr für sie organisiert.
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Nach allem stellt sich für den Senat die Frage, ob es mit den Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar ist, wenn Menschen mit Behinderung im Verfahren der Stellenbesetzung für eine Persönliche Assistenz eine altersbezogene Präferenz zum Auswahlkriterium erheben, obwohl nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG (bzw. § 3 Abs. 1 AGG) eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters verboten ist. Dabei beschränkt der Senat seine Frage zur Auslegung des Unionsrechts nicht auf die in der Vorlagefrage genannten Bestimmungen. Soweit aus der Sicht des Gerichtshofs für einen Fall, wie er dem Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens zugrunde liegt, eine andere Bestimmung des Unionsrechts von Bedeutung sein sollte, sind ausdrücklich alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts erwünscht, die bei der Entscheidung des beim Senat anhängigen Verfahrens von Bedeutung sein können.
I. Zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG

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Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG kann eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG genannten Diskriminierungsgründe – darunter unter anderem das Alter – steht, keine Diskriminierung darstellen, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Nach der im 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78/EG zum Ausdruck gebrachten Anforderung kann eine solche Rechtfertigung nur unter sehr begrenzten Bedingungen gegeben sein. Der Umsetzung von unter anderem Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG in das nationale Recht dient § 8 Abs. 1 AGG. Nach § 8 Abs. 1 AGG ist die unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes – darunter unter anderem das Alter – zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt.
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In unionsrechtskonformer enger Auslegung von § 8 Abs. 1 AGG kann nicht der Grund im Sinne von § 1 AGG, auf den die Ungleichbehandlung gestützt ist, sondern nur ein mit diesem Grund im Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellen (vgl. etwa EuGH 15. Juli 2021 – C-795/19, EU:C:2021:606 – [Tartu Vangla] Rn. 32 mwN; 14. März 2017 – C-188/15, EU:C:2017:204 – [Bougnaoui und ADDH] Rn. 37 mwN; 12. Januar 2010 – C-229/08, EU:C:2010:3 – [Wolf] Rn. 35). Dabei kann das betreffende Merkmal nach dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG selbst eine solche Anforderung nur „aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung“ darstellen. Der Begriff „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne dieser Bestimmung verweist auf eine Anforderung, die von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben ist. Er kann sich hingegen nicht auf subjektive Erwägungen – wie etwa den Willen des Arbeitgebers, besonderen Kundenwünschen zu entsprechen – erstrecken (vgl. EuGH 14. März 2017 – C-188/15, EU:C:2017:204 – [Bougnaoui und ADDH] Rn. 39 f.). Die Rechtmäßigkeit einer Ungleichbehandlung nach Maßgabe dieser Vorschrift hängt – soweit ersichtlich – vom objektiv überprüfbaren Vorliegen eines direkten Zusammenhangs zwischen der aufgestellten beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit ab (vgl. insoweit vermutlich übertragbar EuGH 17. April 2018 – C-414/16, EU:C:2018:257 – [Egenberger] Rn. 63 zu Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG).
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Zwar spricht aus Sicht des Senats einiges dafür, dass die Gewährleistung des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben nach den eigenen Präferenzen, auf individuelle Autonomie und Freiheit zur Wahlfreiheit und Kontrolle ein „rechtmäßiger Zweck“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG und damit im Sinne von § 8 Abs. 1 AGG ist. Der Senat kann allerdings nicht beurteilen, ob der von einem Menschen mit Behinderung im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts geäußerte Wunsch, die Person, die die benötigte und mit einer Stellenausschreibung gesuchte Persönliche Assistenz leistet, solle ein wunschgemäßes Alter haben, ein Merkmal im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG ist und ob eine Alterspräferenz eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung sein kann. Dies könnte fraglich sein, denn der jeweilige konkrete Wunsch ist nicht verallgemeinerbar und als solcher nicht von der Art der beruflichen Tätigkeit der Persönlichen Assistenz oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben. Bei der Personalauswahl für Persönliche Assistenz kann sich der Wunsch eines jungen Menschen mit Behinderung zwar – wie hier – auf eine etwa gleichaltrige Person richten, der Wunsch eines anderen jungen Menschen mit Behinderung mag sich aber eher auf eine Person im Alter der Eltern richten. Der jeweilige Wunsch beruht auf subjektiven Prioritäten für die eigene, selbstbestimmte Lebensgestaltung des jeweiligen Menschen. Dieses Selbstbestimmungsrecht zu achten und ihm bei der Personalauswahl für Persönliche Assistenz zu entsprechen, soweit die Wünsche berechtigt und angemessen sind (vgl. Rn. 8 f. zu § 8 Abs. 1 SGB IX und § 33 SGB I), ist aus Sicht des Senats unerlässlich. Ob dies allerdings im Rahmen von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG möglich ist und welche Vorgaben in solch einem Fall für die Prüfung der Angemessenheit zu berücksichtigen sind, ist bisher – soweit ersichtlich – nicht geklärt.
II Zu Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG

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Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG können die Mitgliedstaaten ungeachtet des Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Der Umsetzung von Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG in das nationale Recht dient § 10 AGG. Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Nach § 10 Satz 2 AGG müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Sowohl in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2000/78/EG als auch in § 10 Satz 3 AGG sind dazu mögliche „derartige“ zulässige „Ungleichbehandlungen“ bzw. „unterschiedliche Behandlungen“ mit dem Zusatz „insbesondere“ aufgeführt.
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Zu Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Mitgliedstaaten nicht nur bei der Entscheidung darüber, welches konkrete Ziel von mehreren sie im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der zu seiner Erreichung geeigneten Maßnahmen über ein weites Ermessen verfügen, wobei Haushaltserwägungen zwar den sozialpolitischen Entscheidungen eines Mitgliedstaats zugrunde liegen können, sie aber nicht als solche das mit der jeweiligen Arbeits- und Sozialpolitik verfolgte Ziel darstellen dürfen (vgl. etwa EuGH 15. April 2021 – C-511/19, EU:C:2021:274 – [Olympiako Athlitiko Kentro Athinon] Rn. 30, 34 mwN). Allerdings darf das den Mitgliedstaaten offenstehende weite Ermessen bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Sozial- und Arbeitspolitik verfolgt werden soll und welche Maßnahmen zu dessen Erreichung geeignet sind, nicht dazu führen, dass der Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters ausgehöhlt wird (vgl. etwa EuGH 3. Juni 2021 – C-914/19, EU:C:2021:430 – [Ministero della Giustizia (Notaires)] Rn. 30; 12. Oktober 2010 – C–499/08, EU:C:2010:600 – [Ingeniørforeningen i Danmark] Rn. 33 mwN).
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Der Senat kann nicht beurteilen, ob in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der es um eine kombinierte Mindest- und Höchstaltersgrenze geht („am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt“), Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG eingreifen kann. Insoweit könnte zu erwägen sein, dass es ein „legitimes Ziel“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG sein kann, wenn der nationale Gesetzgeber mit dem Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen bei der Erbringung von Leistungen der Persönlichen Assistenz das Ziel verfolgt, dem Anspruch behinderter Menschen auf eine möglichst weitgehend selbstbestimmte und eigenverantwortliche Gestaltung ihrer Lebensumstände Rechnung zu tragen und die Eigenverantwortlichkeit der Betroffenen sowie ihre Motivation zur Teilhabe zu stärken (vgl. oben Rn. 27). Zudem stellt sich die Frage, welche Vorgaben gegebenenfalls im Hinblick auf die Prüfung der Angemessenheit und Erforderlichkeit zu beachten sind.
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Im Übrigen wird – auch wenn hier nach den Umständen des Falls nicht von unmittelbarer Bedeutung – nur der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass in der strukturell besonderen Situation der Persönlichen Assistenz subjektive Wünsche nicht nur im Hinblick auf das Alter der Assistenzperson eine Rolle spielen können, sondern dass auch andere der in Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG sowie § 1 AGG genannten Diskriminierungsgründe betroffen sein können. § 8 Abs. 1 SGB IX nennt insofern neben dem Alter das Geschlecht sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG, der ausschließlich das Alter betrifft, könnte eine Diskriminierung wegen anderer Gründe allerdings nicht rechtfertigen.
III. Zu Art. 7 der Richtlinie 2000/78/EG

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Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG hindert der Gleichbehandlungsgrundsatz die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG genannten Diskriminierungsgrundes verhindert oder ausgeglichen werden. Der Umsetzung von Art. 7 der Richtlinie 2000/78/EG in das nationale Recht dient § 5 AGG. Nach § 5 AGG ist ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 AGG benannten Gründe eine unterschiedliche Behandlung auch zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen. Allerdings geht es nach Art. 7 der Richtlinie 2000/78/EG um die Gleichstellung im Berufsleben, was in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht Ziel der Persönlichen Assistenz für die hier betroffene Assistenznehmerin ist.
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Vor diesem Hintergrund möchte der Senat wissen, ob Art. 7 der Richtlinie 2000/78/EG gleichwohl, soweit die Bestimmung im Licht von Art. 19 UN-BRK und dem dahinter stehenden menschenrechtlichen Ansatz der UN-BRK (vgl. hierzu Rn. 35) sowie im Licht der Garantien der Art. 1, Art. 7, Art. 21 und Art. 26 der Charta (vgl. hierzu Rn. 4, 18, 34) zu verstehen ist, für eine Rechtfertigung der Benachteiligung wegen des Alters in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens von Bedeutung sein kann. Insoweit könnte sich nach Auffassung des Senats zudem auswirken, dass die Vertragsstaaten der UN-BRK nach Art. 5 Abs. 1 UN-BRK anerkennen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, vom Gesetz gleich zu behandeln sind und ohne Diskriminierung Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz und gleiche Vorteile durch das Gesetz haben, wobei Art. 5 Abs. 4 UN-BRK ausdrücklich zu besonderen Maßnahmen ermächtigt, die zur Beschleunigung oder Herbeiführung der tatsächlichen Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen erforderlich sind (EuGH 9. März 2017 – C-406/15, EU:C:2017:198 – [Milkova] Rn. 48 ff.).
IV. Zu Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG

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Nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG berührt diese Richtlinie nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft unter anderem zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann insoweit entnommen werden, dass die in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG genannten Gründe – wie der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer – als Möglichkeiten der „Rechtfertigung“ betrachtet werden können (vgl. EuGH 22. Januar 2019 – C-193/17, EU:C:2019:43 – [Cresco Investigation] Rn. 52: „susceptible d’être justifiée sur le fondement de l’article 2, paragraphe 5, de la directive 2000/78“ bzw. „auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 5 … der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sein kann“).
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Vor diesem Hintergrund möchte der Senat wissen, ob sich aus Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens eine Rechtfertigung der Benachteiligung der Klägerin wegen des Alters ergeben kann.
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Auch insoweit könnte sich auswirken, dass Persönliche Assistenzleistungen dem in Art. 19 UN-BRK und dem im nationalen Recht im SGB IX enthaltenen Recht von Menschen mit Behinderung auf Selbständigkeit und Autonomie (vgl. oben Rn. 3, 30 f., 33, 42) gerecht werden müssen. Da es einem Menschen ohne Behinderung im Alter der 28-jährigen Studentin A. unzweifelhaft freisteht, autonom darüber zu entscheiden, mit Menschen welchen Alters das tägliche Leben geteilt werden soll, spricht aus Sicht des Senats viel dafür, dass Menschen mit Behinderung ein solches freies Bestimmungsrecht auch im Hinblick auf die Persönliche Assistenz gewährleistet sein muss. Menschen mit Behinderung wird nach der Präambel der UN-BRK der volle Genuss der Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Diskriminierung garantiert. Zudem ist nach Art. 1 UN-BRK der volle und gleichberechtigte Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderung zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten. Auch ist die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern. Vor diesem Hintergrund möchte der Senat wissen, ob insoweit auch ein Wunsch- und Wahlrecht – wie in § 8 Abs. 1 SGB IX – im Hinblick auf das Alter bei der Besetzung der Stelle zur Persönlichen Assistenz eingeschlossen ist. Besondere Bedeutung könnte dabei auch hier den Garantien in Art. 1, Art. 7, Art. 21 und Art. 26 der Charta (vgl. Rn. 4, 18, 34) zukommen.

Schlewing

Winter

Berger

F. Rojahn

Schirp


Papierfundstellen:

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