BAG – 8 AZR 238/85

Sozialversicherung – Erstattunsganspruch – Abzugsverfahren

Bundesarbeitsgericht,  Urteil vom 14.01.1988, 8 AZR 238/85
Leitsätze des Gerichts

  1. Der Arbeitgeber kann vom Arbeitnehmer die Erstattung rückständiger Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nur im Lohnabzugsverfahren nach näherer Maßgabe der sozialrechtlichen Bestimmungen (hier: § 119 AVG, § 179 Nr. 2 AFG in Verb. mit §§ 394, 395 RVO) verlangen. Ist ein Lohnabzugsverfahren wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich, so ist der Erstattungsanspruch des Arbeitgebers ausgeschlossen, falls nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Schadenersatz nach § 826 BGB vorliegen (ständige Rechtsprechung, vgl. BAGE 6, 7 = AP Nr. 1 zu §§ 394, 395 RVO; BAG Urteil vom 12. Oktober 1977 – 5 AZR 443/76 – AP Nr. 3 zu §§ 394, 395 RVO.
  2. Haben die Parteien wegen beiderseitigen Rechtsirrtums ihr Arbeitsverhältnis für ein Gesellschaftsverhältnis gehalten, so begründet dies keinen Erstattungsanspruch des Arbeitgebers. Eine Anpassung des Arbeitsverhältnisses nach den Grundsätzen über das Fehlen der subjektiven Geschäftsgrundlage scheidet wegen der abschließenden Regelungen des Sozialrechts aus.

 
Tatbestand
Der Kläger betreibt unter der Bezeichnung „Fahrlehrergemeinschaft selbständiger Fahrlehrer in H.“ eine Fahrschule. Seit 8. Mai 1978 war der Beklagte bei ihm als Fahrlehrer beschäftigt. Am 16. März 1979 schlossen die Parteien einen Nachtragsvertrag zu einem Vertrag vom 23. Juni 1971, den der Kläger mit den anderen Mitgliedern der Fahrlehrergemeinschaft geschlossen hatte. Durch den Nachtragsvertrag sollte der Beklagte weiterer Gesellschafter der Fahrlehrergemeinschaft werden. Am 9. Februar 1981 kündigte der Beklagte das Rechtsverhältnis gegenüber dem Kläger fristlos. Durch rechtskräftiges Urteil vom 26. Januar 1983 – 4 Sa 125/82 – stellte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg fest, daß der Beklagte nicht selbständiger Fahrlehrer, sondern Angestellter des Klägers gewesen sei. Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) H. forderte daraufhin vom Kläger Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge für den Beklagten in Höhe von 22.601,74 DM nach.
Mit der Klage verlangt der Kläger die Erstattung der auf den Beklagten entfallenden Arbeitnehmeranteile dieser Beiträge in Höhe von 11.300,87 DM, hilfsweise Freistellung von der Verpflichtung zur Beitragsentrichtung. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Parteien seien davon ausgegangen, daß der Beklagte nicht Arbeitnehmer, sondern selbständiger Fahrlehrer sei. Die Arbeitnehmeranteile habe er deshalb nicht vom Lohn des Beklagten abgezogen. Es sei arglistig, wenn der Beklagte sich auf die Bestimmungen des § 119 Abs. 1 und 3 AVG und des § 179 Nr. 2 AFG in Verb. mit §§ 394, 395 RVO berufe. Als Selbständiger habe der Beklagte für seine Sozialversicherung selbst zu sorgen gehabt. Er habe auch eigene Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung geleistet und deshalb eine höhere Vergütung erhalten als ein vergleichbarer Arbeitnehmer. Der Anspruch sei auch als Schadenersatzanspruch nach § 826 BGB begründet. Der Beklagte habe nämlich in Kenntnis der Unwirksamkeit des Vertrags vom 16. März 1979 gekündigt, um dem Lohnabzugsverfahren zu entgehen. Außerdem habe der Beklagte die Beitragsnachforderung bei der AOK veranlaßt. Dabei habe der Beklagte verschwiegen, daß er sich bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Deutschen Angestellten-Krankenkasse selbst versichert habe; dies habe zumindest die Höhe der Nachforderung ungünstig beeinflußt.
Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 11.300,87 DM nebst 4% Zinsen hieraus seit Klagezustellung zu zahlen, hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, ihn gegenüber der AOK hinsichtlich eines Betrags von 11.300,87 DM freizustellen. Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Er hat vorgetragen, er habe gekündigt, weil der Vertrag vom 16. März 1979 mit dem Fahrlehrergesetz nicht vereinbar gewesen sei, was zum Entzug seiner Fahrschulerlaubnis hätte führen können. Davon, daß er möglicherweise Arbeitnehmer sei, habe er erstmals am Tag der Kündigung erfahren. Er habe sich bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse nach den sozialversicherungsrechtlichen Folgen des Urteils vom 26. Januar 1983 erkundigt. Dies habe dazu geführt, daß der Kläger von Amts wegen auf Nachzahlung der Beiträge in Anspruch genommen worden sei. Hilfsweise rechne er in Höhe von 4.873,50 DM mit dem Anspruch auf Zuschuß zu seinem Krankenversicherungsbeitrag (§ 405 Abs. 1 RVO) auf.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
 
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erstattung der Hälfte der Rentenversicherungs- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge, die für die Zeit vom 8. Mai 1978 bis zum 9. Februar 1981 für den Beklagten zu entrichten waren, nicht zu.
I. Die Klage ist zulässig.
Ohne dies näher zu prüfen, ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß für den eingeklagten Erstattungsanspruch der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben sei. Es ist damit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gefolgt, nach der Ansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer auf Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen bürgerlichrechtliche Ansprüche sind, über die die Gerichte für Arbeitssachen und nicht die Sozialgerichte zu entscheiden haben (vgl. BAGE 6, 7, 8 f. = AP Nr. 1 zu §§ 394, 395 RVO, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 12. Oktober 1977 – 5 AZR 443/76 – AP Nr. 3 zu §§ 394, 395 RVO, zu I 2 b, c der Gründe). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlaß.
II. Die Klage ist unbegründet.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Erstattung der Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung (§ 670 in Verb. mit §§ 675, 683 BGB, § 812 BGB) abgelehnt.
Der Arbeitnehmer hat die Hälfte der Rentenversicherungsbeiträge und die Hälfte der Arbeitslosenversicherungsbeiträge selbst zu tragen (§ 112 Abs. 4 Buchst. a AVG, § 167 Satz 2 AFG). Der Arbeitgeber muß an die einzugsberechtigte Krankenkasse die gesamten Beiträge zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung entrichten (§ 118 Abs. 1 AVG, § 176 AFG), er darf aber die Arbeitnehmeranteile zur Renten- und Arbeitslosenversicherung unter gleichmäßiger Verteilung auf die Lohnzahlungszeiten vom Barlohn abziehen (§ 119 Abs. 1 AVG, § 179 Nr. 2 AFG in Verb. mit § 394 Abs. 1 RVO). Andere Formen der Rückerstattung der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitnehmeranteile sind damit grundsätzlich ausgeschlossen. Insbesondere kann der Arbeitgeber nicht von einem ausgeschiedenen Arbeitnehmer die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen verlangen, deren Abzug vom Arbeitslohn er vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterlassen hatte. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAGE 6, 7, 9 ff. = AP Nr. 1 zu §§ 394, 395 RVO, zu II der Gründe; Urteil vom 12. Oktober 1977 – 5 AZR 443/76 – AP Nr. 3 zu §§ 394, 395 RVO, zu II 2 der Gründe; Urteil vom 8. Dezember 1981 – 3 AZR 71/79 – AP Nr. 5 zu §§ 394, 395 RVO, zu II 1 a der Gründe). An ihr ist festzuhalten. Auch ist ihr insoweit zuzustimmen, als sie das in den §§ 394, 395 RVO und in § 119 Abs. 1 und 3 AVG zum Ausdruck kommende Schutz- und Ordnungsprinzip ohne Rücksicht darauf anwendet, ob der Arbeitgeber den Lohnabzug schuldlos unterlassen hat oder gar der Arbeitnehmer schuldhaft dazu beigetragen hat, daß der Arbeitgeber die Beiträge zu spät entrichtet hat (vgl. BAGE 6, 7, 13 = AP Nr. 1 zu §§ 394, 395 RVO, zu II 3 d der Gründe).
Es kommt somit nicht darauf an, ob der Kläger ohne Verschulden davon ausgehen konnte, daß der Vertrag zwischen den Parteien vom 16. März 1979 ein Gesellschaftsvertrag und kein Arbeitsvertrag sei. Auch ist nicht erheblich, ob der Beklagte bereits bei Abschluß des Vertrags vom 16. März 1979 seine Versicherungspflicht kannte oder, wie er behauptet, erst am 9. Februar 1981 erfahren hat, daß er in Wirklichkeit Arbeitnehmer war.
2. Der Vertrag vom 16. März 1979 ist auch nicht nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) den durch das rechtskräftige Urteil des Landesarbeitsgerichts veränderten Verhältnissen anzupassen mit der Folge, daß der Beklagte die nicht einbehaltenen Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an den Kläger ganz oder teilweise zahlen muß.
Die Parteien befanden sich in einem gemeinsamen Rechtsirrtum, als sie das durch Vertrag vom 16. März 1979 begründete Arbeitsverhältnis für ein Gesellschaftsverhältnis hielten. In einem solchen Fall richtet sich die Anpassung des Vertrags nach den Grundsätzen über den Wegfall (das Fehlen) der (subjektiven) Geschäftsgrundlage (vgl. BAGE 52, 273 = AP Nr. 7 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage). Im vorliegenden Fall führt dies aber nicht zur Erstattungspflicht des Beklagten gegenüber dem Kläger.
Wie dargelegt (vgl. oben 1), regeln § 119 Abs. 1 und 3 AVG und § 179 Nr. 2 AFG in Verb. mit §§ 394, 395 RVO die Erstattung rückständiger Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung abschließend dahingehend, daß sie den Arbeitgeber auf das Lohnabzugsverfahren verweisen. Regelt ein Gesetz aber selbst abschließend die Rechtsfolgen einer bestimmten Entwicklung, so besteht kein Raum dafür, diese als Störung der Geschäftsgrundlage zu berücksichtigen (vgl. Münch-Komm-Roth, 2. Aufl., § 242 Rz 522). Eine gesetzliche Regelung ist vor allem dann als abschließend zu betrachten, wenn durch die Vertragsanpassung der Zweck des Gesetzes vereitelt würde. Dies wäre vorliegend der Fall.
3. Zu Recht hat das Berufungsgericht auch angenommen, daß der Kläger seinen Anspruch nicht auf § 826 BGB stützen kann. Die Regelungen der §§ 394 Abs. 1, 395 Abs. 2 RVO und des § 119 Abs. 1 und Abs. 3 AVG hindern den Arbeitgeber nicht, Schadenersatz zu fordern, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber dadurch sittenwidrig schädigt, daß er sich der Beitragsentrichtung durch Lohnabzug entzieht. Eine sittenwidrige Schädigung hat das Bundesarbeitsgericht dann angenommen, wenn ein Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis kündigt mit dem Ziel, dadurch einem Lohnabzugsverfahren im Rahmen des § 395 Abs. 2 RVO zu entgehen und den Arbeitgeber dadurch zu schädigen (vgl. BAGE 6, 7, 13 = AP Nr. 1 zu §§ 394, 395 RVO, zu II 3 d der Gründe). Weitergehend wird die Auffassung vertreten, ein Schadenersatzanspruch nach § 826 BGB bestehe auch dann, wenn der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber vorsätzlich unrichtige Angaben gemacht und dieser deshalb den Beitrag nicht entrichtet habe (Kommentar zur RVO, herausgegeben vom Verband deutscher Rentenversicherungsträger, Stand 1. Juli 1987, Bd. III, § 1397 Rz 8; Hoernigk/Jorks, Rentenversicherung, Stand August 1987, § 1397 RVO, Anm. 4; Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, AVG, Stand Juni 1971, § 119 Anm. B I 1).
Für beides hat der Kläger keine Tatsachen vorgetragen. Der Kläger hat weder substantiiert behauptet, der Beklagte habe ihn durch arglistiges Verschweigen von den die Versicherungspflicht begründenden Tatsachen am Einzug der Versicherungsbeiträge gehindert, noch, der Beklagte habe gerade zu dem Zweck gekündigt, dem Lohnabzugsverfahren zu entgehen.
a) Im Vertrag vom 16. März 1979 haben die Parteien gemeinsam versucht, einen Gesellschafterstatus des Beklagten zu begründen. Dafür, daß sich der Kläger zu diesem Vertrag aufgrund eines arglistigen Verhaltens des Beklagten hat bewegen lassen, hat das Berufungsgericht nichts festgestellt. Auch hat der Kläger dafür keine Tatsachen vorgetragen.
b) Das gleiche gilt für das Vorbringen des Klägers, der Beklagte habe gekündigt, um einem Lohnabzugsverfahren zu entgehen. Allein daraus, daß der Beklagte vor Kündigung von seiner Arbeitnehmereigenschaft erfahren hatte, ließe sich eine auf sittenwidrige Schädigung gerichtete Absicht nicht herleiten. Der Beklagte hat nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsurteils gekündigt, weil der Kläger ihm weniger Fahrschüler als bisher zuwies und dadurch sein Einkommen schmälerte, und weil er wegen der von den Parteien am 16. März 1979 vorgenommenen Vertragsgestaltung befürchtete, seine Fahrschulerlaubnis zu verlieren. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht im Hinblick auf diese Feststellungen angenommen hat, die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 826 BGB seien nicht dargelegt.
Der Vortrag des Klägers, der Beklagte habe das Beitragsnachforderungsverfahren bei der AOK unter Verschweigen der von ihm geleisteten Rentenversicherungsbeiträge veranlaßt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Sozialversicherungspflicht folgt aus dem Gesetz (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG, § 168 Abs. 1 AFG). Die AOK ist als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung Einzugsstelle und daher gesetzlich zur Einziehung bzw. Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen von Amts wegen verpflichtet (§ 121 Abs. 1 AVG, § 176 Abs. 2 AFG). Im übrigen hatte der Beklagte, nachdem seine Arbeitnehmereigenschaft rechtskräftig festgestellt war, einen Anspruch darauf, daß die Beiträge nachentrichtet wurden.
Nichts anderes gilt, falls, wie der Kläger behauptet, der Beklagte der AOK gegenüber verschwiegen hat, daß er selbst Rentenversicherungsbeiträge geleistet hat. Die eigenen Beitragszahlungen, die der Beklagte als vermeintlich selbständiger Fahrlehrer an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erbracht hat, beruhten auf § 2 Abs. 1 Nr. 3 AVG. Sie hatten auf die Verpflichtung des Klägers, für den Beklagten als Angestellten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG Rentenversicherungsbeiträge zu zahlen, keinen Einfluß. Die Voraussetzungen für eine Verrechnung nach § 28 SGB 4 liegen nicht vor. Die vom Beklagten nach § 112 Abs. 4 Buchst. b, § 2 Abs. 1 Nr. 3 AVG geleisteten Beitragszahlungen sind zu Unrecht erfolgt, weil wegen der Arbeitnehmereigenschaft des Beklagten eine Versicherungspflicht nach diesen Bestimmungen nicht bestand.
 
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Fundstellen:
BAGE 57, 192
DB 1988, 1550


Papierfundstellen:

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