BAG – 2 AZR 472/01

Kündigung einer Verkäuferin wegen Tragens eines islamischen Kopftuchs  – Praktische Konkordanz zwischen Religionsausübungsfreiheit und Direktionsrecht

Bundesarbeitsgericht,  Urteil vom 10.10.2002, 2 AZR 472/01

Leitsatz des Gerichts:

Das Tragen eines – islamischen – Kopftuchs allein rechtfertigt regelmäßig noch nicht die ordentliche Kündigung einer Verkäuferin in einem Kaufhaus aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen nach § 1 Abs. 2 KSchG.

Tenor:

  1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 21. Juni 2001 – 3 Sa 1448/00 – aufgehoben.
  2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 13. April 2000 – 3 Ca 293/99 – abgeändert:   
    Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. August 1999 nicht aufgelöst worden ist.
  3. Im übrigen wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und über Annahmeverzugsansprüche der Klägerin.

Die am 29. November 1970 in der Türkei geborene Klägerin begann am 1. August 1989 bei der Beklagten eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau und war seit deren Abschluß als Verkäuferin beschäftigt.

Die Beklagte betreibt in S. ein Kaufhaus mit einer Verkaufsfläche von ca. 9. 000 qm. Ihr Warensortiment besteht ua. aus Modeartikeln, sog. Accessoires, Spielsachen, Schmuck, Kosmetika, Schreib-, Leder- und Süßwaren. Lebensmittel werden nicht angeboten. Die Beklagte beschäftigt im Verkauf ca. 85 Arbeitnehmer, im Verwaltungsbereich 8 Arbeitnehmer, in der Warenannahme 2 Arbeitnehmer und mit Hausmeisteraufgaben 3 Mitarbeiter.

Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres zweiten Kindes vom 15. April 1996 bis zum 26. Mai 1999 erneut im Erziehungsurlaub. Anfang Mai 1999 teilte sie der Beklagten mit, sie werde bei der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit künftig ein Kopftuch tragen. Ihre religiösen Vorstellungen hätten sich gewandelt, ihr moslemischer Glaube verbiete es ihr, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Die Personalleitung der Beklagten widersprach einem Einsatz mit Kopftuch und räumte der Klägerin eine Bedenkzeit ein. Die Klägerin blieb auch nach einem weiteren Gespräch bei ihrer Auffassung, obwohl die Beklagte ihr mitgeteilt hatte, daß dann eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses unausweichlich sei.

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 25. Mai 1999 das Arbeitsverhältnis zunächst außerordentlich. Sie nahm mit Zustimmung der Klägerin diese Kündigung später zurück.

Unter dem 19. August 1999 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten fristgemäßen Kündigung der Klägerin an. Im Anhörungsschreiben heißt es ua. :

    ". . .

Bis zum war sie im Mutterschutz. Sie informierte uns in der 20. KW davon, dass sie mit Beendigung des Erziehungsurlaubs wohl wieder bei uns tätig sein möchte, jedoch keinesfalls ohne Kopftuch (aus religiösen Gründen) und bis 20. 00 Uhr arbeiten könnte.

Da es nicht dem Stil unseres Hauses entspricht Verkaufspersonal mit Kopfbedeckung zu beschäftigen und dies auch dem Grossteil unserer Kunden nicht zuzumuten ist, und wir auch keine anderweitig frei Stelle im Hause haben, werden wir das Beschäftigungsverhältnis mit Frau C. zum 30.09.1999 fristgerecht kündigen.

    . . . "

Der Betriebsrat erwiderte mit Schreiben vom 26. August 1999, er sei zu der beabsichtigten Kündigung ordnungsgemäß gehört worden und stimme der Kündigung zum 30. September 1999 einstimmig zu.

Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 30. August 1999 das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. Oktober 1999.

Die Klägerin hat sich gegen diese Kündigung gewandt und Ansprüche aus Annahmeverzug für den Zeitraum 1. Juni 1999 bis 30. April 2001 geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, ein Kündigungsgrund liege nicht vor. Die Kündigung sei ein unzulässiger, unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit ihrer Religionsausübung. Der Koran schreibe ihr das Tragen des Kopftuches verbindlich vor. Die Beklagte habe demgegenüber eine Beeinträchtigung ihrer betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen nicht dargelegt. Sie hätte zumindest abwarten können und müssen, ob es bei ihrem Einsatz mit einem Kopftuch zu Störungen komme. Auch sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Ihm seien weder ausreichende Angaben zur Dauer und Lage ihres Erziehungsurlaubs noch über ihre Staats- bzw. Volkszugehörigkeit gemacht worden. Der Kündigungssachverhalt sei dem Betriebsrat nicht hinreichend konkret und vollständig mitgeteilt worden; der nur schlagwortartige Hinweis "aus religiösen Gründen" genüge nicht.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

  1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. August 1999 nicht aufgelöst worden ist,
  2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 73.600,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus jeweils 3.200,00 DM seit dem 1. Juli 1999, seit dem 1. August 1999, seit dem 1. September 1999, seit dem 1. Oktober 1999, seit dem 1. November 1999, seit dem 1. Dezember 1999, seit dem 1. Januar 2000, seit dem 1. Februar 2000, seit dem 1. März 2000, seit dem 1. April 2000, seit dem 1. Mai 2000, seit dem 1. Juni 2000, seit dem 1. Juli 2000, seit dem 1. August 2000, seit dem 1. September 2000, seit dem 1. Oktober 2000, seit dem 1. November 2000, seit dem 1. Dezember 2000, seit dem 1. Januar 2001, seit dem 1. Februar 2001, seit dem 1. März 2001, seit dem 1. April 2001 sowie seit dem 1. Mai 2001 abzüglich 22.058,63 DM in dem gesamten Zeitraum erhaltenes Arbeitslosengeld bzw. -hilfe zu zahlen.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, die Kündigung sei aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt. Die Klägerin sei zukünftig nicht mehr in der Lage, ihren bisherigen Arbeitsplatz als Verkäuferin in der Parfümerieabteilung wieder einzunehmen. Ihr Verkaufspersonal sei dem Stil des Hauses entsprechend dazu angehalten, sich bei der Ausübung der Verkaufstätigkeit gepflegt und unauffällig zu kleiden. Das Kaufhaus wolle seinen Kunden einen noblen und exklusiven Eindruck vermitteln. Die Weigerung der Klägerin, sich weiterhin in das vorgegebene einheitliche Erscheinungsbild des Verkaufspersonals einfügen zu wollen, führe zu einer Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen. Sie könne es nicht dulden, daß sich einzelne Mitarbeiter nicht mehr an die ungeschriebene und allseits akzeptierte Kleiderordnung im Betrieb hielten. Faktisch werde eine "Schleuse geöffnet". Sie würde zukünftig damit konfrontiert, auch anderen Mitarbeitern vergleichbare Wünsche zu erfüllen. Ihr sei es nicht zumutbar, die Klägerin probeweise mit einem Kopftuch zu beschäftigen. Es bestehe ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse, mögliche Schäden durch Kundenverluste zu vermeiden.

Die Beklagte hat ferner die Auffassung vertreten, der Betriebsrat sei ausreichend informiert worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.

 

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. August 1999 zum 31. Oktober 1999 aufgelöst worden. Bezüglich des Zahlungsantrags der Klägerin war der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, da es weiterer Feststellungen bedarf.

A.

Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:

Die Kündigung vom 30. August 1999 sei rechtswirksam. Der Betriebsrat sei zu ihr ordnungsgemäß angehört worden. Er habe nicht näher über die Mutterschutz- und Erziehungsurlaubszeiten der Klägerin informiert werden müssen. Dem Betriebsrat seien die persönlichen und sozialen Umstände der Klägerin, insbesondere die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit und die Art und Weise ihrer Beschäftigung, ohnehin bekannt gewesen. Auf die Staatsangehörigkeit und den "Glauben" der Klägerin komme es für die Beurteilung des Kündigungssachverhalts nicht an. Erheblich sei allein, daß die Beklagte den Betriebsrat über die "religiös fundierte Begründung" der Klägerin informiert habe. Damit sei dem Betriebsrat der entscheidungserhebliche Rechtfertigungsgrund der Klägerin hinreichend erkennbar gewesen.

Die Kündigung sei als personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Auf Grund der vertraglichen Nebenpflichten müsse die Klägerin ihre äußere persönliche Erscheinung in den Rahmen einordnen, der im Kaufhaus der Beklagten als betriebliche Übung allseits akzeptiert und praktiziert werde. Das Verkaufspersonal kleide sich ohne auffällige, provozierende, ungewöhnliche fremdartige Akzente und entspreche damit einer "ungeschriebenen", von der Beklagten aber erkennbar erwarteten "Kleiderordnung". Es könne keinem Zweifel unterliegen, daß die Beklagte im Hinblick auf den Charakter ihres Kaufhauses, dessen örtliche Lage und die Vorstellungen des ländlich-konservativ geprägten Kundenkreises mit dieser Kleiderordnung berechtigte Interessen verfolge, denen sich die Klägerin als Arbeitnehmerin zu fügen habe. Wenn die Klägerin als Muslimin ein Kopftuch aus religiösen Gründen tragen müsse, sei sie dauernd außer Stande, ihre mit ihrer Grundrechtsstellung kollidierende arbeitsvertragliche Pflicht zu erfüllen. Es bestehe ein dauerndes Beschäftigungshindernis. Könne es im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten nicht ausgeräumt werden, so sei die Kündigung als personenbedingte sozial gerechtfertigt. Zwar stehe das Verhalten der Klägerin nach Art. 4 Abs. 1 GG unter Grundrechtsschutz und sei von der Beklagten bei der Ausübung ihres Direktionsrechts zu beachten. Die Beklagte könne sich aber ihrerseits auf Grundrechte berufen, die mit denen der Klägerin in einem Spannungsverhältnis stünden. Es könne von der Beklagten nicht verlangt werden, die Klägerin – zumindest probeweise – kopftuchtragend zu beschäftigen, um die Reaktion der anderen Mitarbeiter und ihrer Kunden herauszufinden. Dadurch würde in die geschützte Erwerbstätigkeit der Beklagten und in ihr Eigentumsrecht eingegriffen. Es würde der Beklagten zugemutet, eine einseitige Vertragsänderung zugunsten der Klägerin zu akzeptieren. Eine andere Einsatzmöglichkeit sei für die Klägerin zur Zeit der Kündigung außerhalb des Verkaufs nicht vorhanden. Da ihr nicht zugemutet werden könne, auf das religiös indizierte Tragen des Kopftuches zu verzichten, scheide eine Weiterbeschäftigung der Klägerin unter diesen Umständen aus. Wegen der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehe der Klägerin der begehrte Zahlungsanspruch auch nicht zu. Dies gelte auch für den Zeitraum vom 1. Juni bis 31. Oktober 1999. Die Klägerin sei in diesem Zeitraum nicht leistungsfähig iSd. § 297 BGB gewesen.

B.

Dem folgt der Senat nicht.

Die fristgemäße Kündigung vom 30. August 1999 ist rechtsunwirksam. Zwar ergibt sich dies nicht auf Grund einer fehlerhaften Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG. Sie ist jedoch sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG.

I.

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ist eine Kündigung nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt angehört zu haben, sondern auch dann, wenn er seiner Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachgekommen ist (Senat 22. September 1994 – 2 AZR 31/94 – BAGE 78, 39; 17. Februar 2000 – 2 AZR 913/98 – BAGE 93, 366 [BAG 17.02.2000 – 2 AZR 913/98]).

Die Beklagte hat den Betriebsrat mit Schreiben vom 19. August 1999 über den aus ihrer Sicht maßgeblichen Kündigungssachverhalt ordnungsgemäß unterrichtet. Außerdem kannte der Betriebsrat bei seiner Anhörung die maßgeblichen persönlichen und sozialen Daten der Klägerin.

1.

Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, daß die fehlende Mitteilung der Mutterschutz- und Erziehungsurlaubszeiten der Klägerin nicht zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats führt. Zur Beurteilung des vorliegenden Kündigungssachverhaltes benötigte der Betriebsrat die von der Klägerin vermißten Informationen nicht.

2.

Gleiches gilt für die gerügte fehlende Angabe der Staatsangehörigkeit. Unabhängig davon ist entscheidend, daß die Beklagte im Anhörungsschreiben auf den Geburtsort der Klägerin in der Türkei hingewiesen hatte.

3.

Nach den auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kannte der Betriebsrat die anderen erforderlichen persönlichen und sozialen Daten der Klägerin. Der insoweit von der Klägerin vorgetragene Revisionsangriff, das Landesarbeitsgericht habe die Beweisaufnahme nicht hinreichend gemäß § 286 ZPO gewürdigt, ist nicht begründet. Nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Die für die richterliche Überzeugung leitenden Gründe sind im Urteil anzugeben (§ 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dabei muß sich das Tatsachengericht im Urteil nicht mit jeder Behauptung und Zeugenaussage ausführlich auseinandersetzen. Erforderlich ist nur, daß sich aus den Gründen ergibt, eine sachentsprechende Beurteilung iSv. § 286 ZPO habe überhaupt stattgefunden (vgl. schon Senat 6. März 1958 – 2 AZR 457/55 – BAGE 5, 221, 224) [BAG 06.03.1958 – 2 AZR 457/55]. Nichtssagende Floskeln ohne Bezug zum gewürdigten Sachverhalt genügen dazu nicht (Stein/Jonas/Leipold ZPO 21. Aufl. § 286 Rn. 12; Senat 17. Februar 2000 – 2 AZR 927/98 – nv. ).

Einer Überprüfung dieser Grundsätze hält die angegriffene Beweiswürdigung stand. Das Landesarbeitsgericht hat näher begründet, warum es die Aussage des Zeugen U. für glaubhaft hielt. Es hat insbesondere für das Vorliegen der notwendigen Informationen auf die Größe des Betriebes und die bisherige Beschäftigungsdauer der Klägerin und auf allgemeine Kenntnisse im Betriebsrat verwiesen.

4.

Entgegen der Rüge der Revision hat die Beklagte ihren Betriebsrat auch über die wesentlichen Kündigungsgründe ausreichend unterrichtet. Sie hat ihm mit dem Anhörungsschreiben den für sie maßgeblichen Sachverhalt dargetan. Die Beklagte hat deutlich zum Ausdruck gebracht, in der Ankündigung der Klägerin, zukünftig nur mit Kopftuch zu arbeiten, liege der maßgebliche Kündigungssachverhalt. Sie hat weiter angegeben, die Klägerin habe für dieses Verhalten auf "religiöse Gründe verwiesen". Darüber hinaus war es vorliegend nicht notwendig, den Betriebsrat ausdrücklich auf ihren muslimischen Glauben hinzuweisen, zumal die Beklagte die religiöse Motivation der Klägerin als Grund für ihr Verhalten genannt hatte.

II.

Die ordentliche Kündigung vom 30. August 1999 ist aber sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie ist weder durch einen im Verhalten noch – worauf sich die Beklagte in erster Linie berufen hat – einen in der Person der Klägerin liegenden Grund bedingt.

1.

Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das Landesarbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr. Senat 26. September 1996 – 2 AZR 200/96 – BAGE 84, 209, 212 [BAG 26.09.1996 – 2 AZR 200/96]; 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Krankheit Nr. 49, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

Auch unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs hält das angefochtene Urteil einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

2.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht aus einem in ihrer Person liegenden Grund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG gekündigt werden. Bei zutreffender Würdigung der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen hat die Klägerin ihre Eignung und Fähigkeit zur Erbringung ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung als Verkäuferin im Kaufhaus der Beklagten nicht verloren.

a)

Ein personenbedingter Kündigungsgrund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG kommt in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die Fähigkeit oder Eignung zur Erfüllung der geschuldeten Arbeitsleistung verloren hat. Die Erreichung des Vertragszwecks muß durch diesen Umstand nicht nur vorübergehend zumindest teilweise unmöglich sein (KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 266; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 1 Rn. 176; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 924 und 1189; BAG 28. Februar 1990 – 2 AZR 401/89 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 5). Dabei ist zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer die Fähigkeit oder die Eignung, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, im Kündigungszeitpunkt fehlt oder ob sie erheblich eingeschränkt ist und ob mit ihrer baldigen Wiederherstellung nicht gerechnet werden kann. Dies muß zu einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses führen, die im Zeitpunkt der Kündigung noch andauert und zukünftig auch zu befürchten ist und die nicht durch eine Umsetzung des Arbeitnehmers zu beseitigen ist. Schließlich muß eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen werden, wobei vor allem zu prüfen ist, ob der Arbeitgeber die auf Grund des personenbedingten Kündigungsgrundes eingetretene Störung des Arbeitsverhältnisses billigerweise noch hinnehmen muß oder ob die Kündigung bei verständiger Würdigung und Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes billigenswert und angemessen erscheint (s. nur KR-Etzel aaO § 1 KSchG Rn. 271 ff. ).

b)

Zwar kann eine Arbeitnehmerin auf Grund von fundamentalen, unüberwindbaren Glaubenshindernissen ihre Fähigkeit und Eignung verlieren, die unmittelbar vertraglich geschuldete Arbeitsleistung überhaupt zu erbringen (vgl. BAG 24. Mai 1989 – 2 AZR 285/88 – BAGE 62, 59; ErfK/Ascheid 3. Aufl. KSchG § 1 Rn. 261, 267; ErfK/Dieterich 3. Aufl. GG Art. 4 Rn. 25; Stahlhacke/Preis/Vossen aaO Rn. 1213). Vorliegend ist die Klägerin jedoch – anders etwa als eine Lehrerin an einer Grund- oder Hauptschule im Beamtenverhältnis auf Grund der Besonderheiten des öffentlichen Dienstrechts und des Art. 33 Abs. 2 GG (BVerwG 4. Juli 2002 – 2 C 21. 01 – NJW 2002, 3344) – in der Lage, ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung als Verkäuferin auch dann noch zu erfüllen, wenn sie bei ihrer Tätigkeit ein – islamisches – Kopftuch trägt. Hierdurch wird weder ein von der Klägerin zu führendes Verkaufsgespräch unmöglich gemacht noch ein von ihr betreuter Verkaufsvorgang so behindert, daß nicht mehr von einer branchenüblichen Tätigkeit einer Verkäuferin einerseits oder – ohne weitere detaillierte Darlegungen durch die Beklagte – von einer wirtschaftlich wertlosen Arbeitsleistung der Klägerin oder einer den Arbeitgeber sogar schädigenden Tätigkeit andererseits gesprochen werden kann. Dies gilt um so mehr, als die Klägerin nach ihrem Arbeitsvertrag nur als "Verkäuferin" bei der Beklagten angestellt ist und sie deshalb grundsätzlich nicht nur in der Parfümerieabteilung beschäftigt, sondern auch in einer anderen Abteilung des Kaufhauses zukünftig eingesetzt werden kann. Die Annahme eines personenbedingten Grundes im vorstehenden Sinne ist daher nicht gerechtfertigt.

3.

Die Kündigung ist auch nicht aus einem im Verhalten der Klägerin liegenden Grund sozial gerechtfertigt.

a)

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte mit der Ablehnung eines Einsatzes der Klägerin mit einem – islamischen – Kopftuch im Zusammenhang mit den zwischen den Parteien geführten Gesprächen eine Weisung hinsichtlich ihrer bei der Arbeit zu tragenden Kleidung – zumindest konkludent – erteilt hat oder ob sich die Beklagte mit ihrem Hinweis auf die "ungeschriebene Kleiderordnung" nur auf eine Verletzung der allgemeinen vertraglichen Nebenpflicht zur Rücksichtnahme berufen will. Denn sowohl bei der Ausübung ihres Weisungsrechts als auch bei der Ausgestaltung dieser vertraglichen Pflicht ist das spezifische, durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG grundrechtlich geschützte Anliegen der Klägerin, aus religiösen Gründen nicht mehr ohne ein Kopftuch zu arbeiten, zu beachten. Auf Grund der verfassungsrechtlich gewährleisteten, im Arbeitsverhältnis bei der Ausübung des Weisungsrechts oder der Ausgestaltung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht zu berücksichtigenden Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin kann deshalb die Beklagte nicht ohne weiteres die Einhaltung der in ihrem Betrieb allgemein üblichen Bekleidungsstandards verlangen und die Klägerin zur Arbeitsleistung ohne ein Kopftuch wirksam auffordern.

b)

Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber von seiner Arbeitnehmerin mit Kundenkontakt allerdings erwarten, sich dem Charakter des Handelsgeschäfts und dessen Kundenstamm entsprechend branchenüblich zu kleiden. Eine solche Pflicht kann, wenn eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung im Arbeitsvertrag oder eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG fehlt – vorbehaltlich von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats (vgl. zuletzt BAG 11. Juni 2002 – 1 ABR 46/01 – AP BetrVG 1972 § 87 Ordnung des Betriebes Nr. 38, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen) – durch eine Weisung des Arbeitgebers begründet werden oder sich aus einer vertraglichen Rücksichtnahmepflicht (§ 242 BGB; jetzt ausdrücklich § 241 Abs. 2 BGB nF) ergeben (ErfK/Dieterich 3. Aufl. Art. 2 GG Rn. 88; BAG 10. Dezember 1992 – 2 ABR 32/92 – AP ArbGG 1979 § 87 Nr. 4 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 33). Ausnahmsweise können danach der durch das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin garantierten freien Gestaltung ihres Äußeren und ihrer Kleidung Grenzen gesetzt werden, um dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers nach einem einheitlichen Erscheinungsbild und den Erwartungen der Kundschaft Rechnung zu tragen (ErfK/Preis aaO § 611 BGB Rn. 805; ErfK/Dieterich aaO Art. 2 GG Rn. 88; LAG Hamm 22. Oktober 1991 – 13 TaBV 36/91 – LAGE § 611 BGB Direktionsrecht Nr. 11). Insbesondere kann der Arbeitgeber den "Stil des Hauses" vorgeben und grundsätzlich durch Einzelanweisungen die Arbeitsverhältnisse seiner Mitarbeiter ausgestalten.

c)

Das Weisungsrecht, das seine Grenzen in den gesetzlichen Regelungen, im Kollektiv- und im Einzelvertragsrecht findet, darf jedoch nach § 315 Abs. 1 BGB nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden (BAG 27. März 1980 – 2 AZR 506/78 -BAGE 33, 71 [BAG 27.03.1980 – 2 AZR 506/78]; 20. Dezember 1984 – 2 AZR 436/83 – BAGE 47, 363; 24. Mai 1989 – 2 AZR 285/88 – aaO). Die in § 315 Abs. 1 BGB geforderte Billigkeit wird inhaltlich durch die Grundrechte, hier vor allem durch die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG und die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG, mitbestimmt (siehe insbesondere BAG 24. Mai 1989 – 2 AZR 285/88 – aaO). Kollidiert das Recht des Arbeitgebers, im Rahmen seiner gleichfalls grundrechtlich geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), die auch für die Beklagte als juristische Person nach Art. 19 Abs. 3 GG gewährleistet ist (ErfK/Dieterich aaO Art. 12 GG Rn. 13; BVerfG 17. Februar 1998 – 1 BvF 1/91 – BVerfG 97, 228), den Inhalt der Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers näher zu konkretisieren, mit grundrechtlich geschützten Positionen des Arbeitnehmers, so ist das Spannungsverhältnis im Rahmen der Konkretisierung und Anwendung der Generalklausel des § 315 BGB einem grundrechtskonformen Ausgleich der Rechtspositionen zuzuführen. Dabei sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß die geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (praktische Konkordanz: BVerfG 18. Oktober 1993 – 1 BvR 1044/89 – BVerfGE 89, 214; Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland 20. Aufl. Rn. 317 ff. ): Bei dieser Abwägung ist die Intensität der umstrittenen Freiheitsbeschränkung genauso zu berücksichtigen wie die von den Vertragspartnern durch den Abschluß des Vertrags selbst eingeräumte Begrenzung ihrer grundrechtlichen Freiheiten, der Rang und das Gewicht des mit dem Eingriff verfolgten Ziels sowie die spezifische Bedeutung und der spezielle Gehalt des betroffenen Grundrechts bzw. der kollidierenden Grundrechtspositionen in bezug auf den umstrittenen Regelungskonflikt (ErfK/Dieterich 1. Aufl. Vorbem. GG Rn. 84).

Gleiches gilt auch bei der Ausformung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht im Rahmen des § 242 BGB (vgl. beispielsweise BK-Zippelius Stand September 2002 Art. 4 Rn. 82).

aa)

Das von der Beklagten nicht akzeptierte Tragen des – islamischen – Kopftuchs während der Arbeit führt unmittelbar zu einer Beeinträchtigung der Grundrechte der Klägerin. Sie leitet das von ihr als verpflichtend angesehene Gebot des Kopftuchtragens aus ihrem Glauben her. Damit genießt sie den Grundrechtsschutz aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (so zuletzt BVerwG 4. Juli 2002 – 2 C 21. 01 – NJW 2002, 3344; Böckenförde NJW 2001, 723, 724; Janz/Rademacher NVwZ 1999, 706, 710). Das Tragen eines Kopftuchs aus religiöser Überzeugung fällt in den Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), die durch die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 Abs. 2 GG) noch verstärkt wird (BVerfG 16. Oktober 1968 – 1 BvR 241/66 – BVerfGE 24, 236, 245) [BVerfG 16.10.1968 – 1 BvR 241/66]. Das Grundrecht umfaßt die Freiheit, nach eigener Glaubensüberzeugung zu leben und zu handeln (BVerfG 19. Januar 1971 – 1 BvR 387/65 – BVerfGE 32, 98, 106; 16. Mai 1995 – 1 BvR 1087/91 – BVerfGE 93, 1, 15) [BVerfG 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91]. Dabei schützt es nicht nur christliche Glaubensentscheidungen und Religionsausübungen, sondern ist offen für die Entfaltung verschiedener Religionen und Bekenntnisse (BVerfG 19. Januar 1971 – 1 BvR 387/65 – aaO) und beschränkt sich als sog. Jedermannrecht nicht allein auf die deutschen Staatsbürger (BK-Zippelius aaO Art. 4 Rn. 30 und 66; Hillgruber JZ 1999, 538, 540 f. ; Böckenförde NJW 2001, 723, 724).

Das – islamische – Kopftuch stellt ein Symbol für eine bestimmte religiöse Überzeugung dar. Mit dem Tragen dieses Kopftuchs macht die Klägerin von ihrem Grundrecht Gebrauch (BVerfG 16. Mai 1995 – 1 BvR 1087/91 – aaO). Das Kopftuch kann nicht ohne spezifischen Bezug zu den Glaubensinhalten des Islams gesehen und auf ein lediglich allgemeines – kulturelles – Zeichen einer ethnischen Gruppe reduziert werden. Wegen der Bedeutung, die Muslime dem Kopftuch beilegen, gilt es als Sinnbild einer bestimmten Glaubensüberzeugung, als Ausdruck des Bekenntnisses der Trägerin zum islamischen Glauben und damit als sichtbares Zeichen für die Ausübung ihrer Religion (so zusammenfassend zuletzt BVerwG 4. Juli 2002 – 2 C 21. 01 – NJW 2002, 3344; siehe auch von Mangoldt/Klein/Starck GG 4. Aufl. Art. 4 Rn. 35; ErfK/Dieterich GG 3. Aufl. Art. 4 Rn. 12; BK-Zippelius aaO Rn. 95; Hillgruber JZ 1999, 541; Böckenförde NJW 2001, 723, 726). Dabei kann dahinstehen, ob das Kopftuchtragen Ausdruck eines zwingenden religiösen Gebots des Korans ist, was unter den islamischen Autoritäten umstritten sein mag. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistet nämlich als Grundrecht nicht nur die persönliche Freiheit, nach Maßgabe einer autoritativen oder allgemein anerkannten Lehre einer Religionsgemeinschaft zu leben, sondern auch die individuelle Religionsfreiheit als Recht des einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln (BVerfG 19. Januar 1971 – 1 BvR 387/65 – aaO). Insbesondere überläßt das Grundrecht es dem einzelnen, welche religiösen Symbole er anerkennt und verwendet (BVerfG 16. Mai 1995 – 1 BvR 1087/91 – aaO). Das in Rede stehende Verhalten muß nicht allgemein von den Gläubigen geteilt werden. Für eine zulässige Berufung auf Art. 4 GG kommt es nur darauf an, daß es überhaupt von einer wirklichen religiösen Überzeugung – wie hier bei der Klägerin – getragen und nicht anders motiviert ist. Andernfalls würde den Gerichten eine Bewertung von Glaubenshaltungen oder die Prüfung von theologischen Lehren aufgebürdet, die sie nicht leisten können und nicht leisten dürfen (ErfK/Dieterich aaO Art. 4 GG Rn. 9; Böckenförde NJW 2001, 723, 724; Hillgruber JZ 1999, 541).

bb)

Demgegenüber kommt zwar als konkurrierende, durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Position der Beklagten vor allem ihre Unternehmerfreiheit in Betracht. In welcher Intensität dieses Recht der Beklagten betroffen ist, kann aber auf Grund ihres nicht hinreichend konkreten Sachvortrags nicht festgestellt werden. Es sind von der insoweit darlegungspflichtigen Beklagten keine Tatsachen vorgetragen worden, auf Grund derer es bei einem weiteren Einsatz der Klägerin als Verkäuferin mit einem – islamischen – Kopftuch zu konkreten betrieblichen Störungen oder wirtschaftlichen Einbußen kommen würde.

Die für das Kaufhaus der Beklagten bisher ungewohnte Bekleidung der Klägerin und die Auffälligkeit des Kopftuchs mit den sich daraus ergebenden Assoziationen zum Islam rechtfertigen jedenfalls nicht per se eine andere Beurteilung. In Anbetracht des hohen Stellenwerts des Grundrechts der Glaubens- und Religionsfreiheit sind entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts solche realen Gefährdungen konkret darzulegen. Es ist nach der Lebenserfahrung eben nicht "naheliegend" und ohne dezidierten Tatsachenvortrag auch nicht "gut nachvollziehbar", daß sie sich realisieren. Bloße Vermutungen und Befürchtungen der Beklagten ersetzen kein notwendiges, konkretes und der Darlegungslast entsprechendes Sachvorbringen. Dies gilt um so mehr, als bei der Herbeiführung eines schonenden Ausgleichs der unterschiedlichen grundrechtlichen Positionen zu berücksichtigen ist, daß Grundrechte nicht auf einen möglichen "Verdacht" hin beiseite gestellt werden können (Böckenförde NJW 2001, 723, 728).

d)

Unter Berücksichtigung des besonders hohen Stellenwertes der grundrechtlich und auch nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (siehe hierzu EGMR 15. Februar 2001 – 42393/98 – NJW 2001, 2871 [EGMR 15.02.2001 – II – 42393/98]) gewährleisteten Glaubens- und Religionsfreiheit ist es demnach der Beklagten zuzumuten, die Klägerin als Verkäuferin weiterhin einzusetzen und ggf. abzuwarten, ob sich ihre Befürchtungen in nennenswertem Maße realisieren. Zu prüfen wäre nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dann zunächst auch, ob etwaigen Störungen nicht auf andere Weise als durch eine Kündigung zu begegnen wäre.

e)

Der weitere Einwand der Beklagten, sie müsse ggf. auch den anderen

Mitarbeitern aus Gleichbehandlungsgründen gestatten, aus der allseits akzeptierten Kleiderordnung "auszubrechen", rechtfertigt keine andere Bewertung. Vorliegend geht es allein um die besonderen aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG fließenden Anforderungen an die Ausgestaltung des Weisungsrechts des Arbeitgebers bzw. der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht und deren Harmonisierung mit den grundrechtlichen Anforderungen.

III.

Da das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch die Kündigung vom 30. August 1999 wirksam zum 31. Oktober 1999 beendet worden ist, steht der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung der begehrten Vergütung aus Annahmeverzug gemäß § 615 Satz 1 BGB zu. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts war die Klägerin auch nicht iSv. § 297 BGB dauernd außer Stande, ihre Leistungspflicht innerhalb ihres Arbeitsverhältnisses zu erbringen, weil sie nur noch eine Tätigkeit mit einem – islamischen – Kopftuch ausüben wollte.

Gleichwohl war insoweit der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO aF), weil das Berufungsgericht – konsequenter-weise – die notwendigen Tatsachen zur Berechnung der Höhe der Forderung nicht näher festgestellt hat. Dies gilt vor allem für die von der Klägerin in Anrechnung gebrachten und von der Beklagten bestrittenen geleisteten Beträge der Bundesanstalt für Arbeit.
 

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Fundstellen:

BAGE 103, 111
NJW 2003, 1685
NZA 2003, 483
DB 2003, 83
BB 2003, 1283