BAG – 2 AZR 255/04

BAGE 114, 264    NZA 2005, 991    DB 2005, 2028   

Außerordentliche Kündigung – Schwerbehinderter – Integrationsamt – Zustimmung durch Widerspruchsausschuss

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.04.2005, 2 AZR 255/04
Leitsatz:

Wird die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Menschen erst vom Widerspruchsausschuss erteilt, so muss die Kündigung unverzüglich erklärt werden, sobald der Arbeitgeber sichere Kenntnis davon hat, dass der Widerspruchsausschuss zustimmt. Hierfür reicht die mündliche Bekanntgabe aus, dass dem Widerspruch stattgegeben wird.

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 16. März 2004 – 18 Sa 41/03 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

Der Kläger war seit dem 1. Juni 1991 bei der Beklagten zu einem regelmäßigen Bruttoentgelt von zuletzt ca. 3.000,00 Euro pro Monat beschäftigt. Mit Bescheid des Versorgungsamtes S… vom 15. Mai 2001 wurde dem Kläger mit Wirkung zum 1. März 2001 ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt.

Am 21. September 2001 verließ der Kläger gegen 20.00 Uhr seinen Arbeitsplatz und veranlasste einen Kollegen, seine Zeiterfassungskarte zum Schichtende um 23.00 Uhr abzustempeln.

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2001 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Dies lehnte das Integrationsamt mit Bescheid vom 23. Oktober 2001 ab. Hiergegen legte die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2001 Widerspruch ein. In der Sitzung des Widerspruchsausschusses vom 19. Februar 2002 teilte das Integrationsamt mit, es gebe dem Widerspruch der Beklagten statt. Der entsprechende schriftliche Widerspruchsbescheid vom 26. März 2002 wurde der Beklagten am 27. März 2002 zugestellt. Die gegen den Widerspruchsbescheid gerichtete Klage des Klägers wurde vom Verwaltungsgericht inzwischen rechtskräftig abgewiesen.

Der Betriebsrat, den die Beklagte mit Schreiben vom 10. Oktober 2001 und 13. Februar 2002 angehört hatte, widersprach der Kündigung nicht. Nach Zustellung des Widerspruchsbescheids kündigte die Beklagte dem Kläger mit der am 27. März 2002 zugegangenen Kündigung fristlos.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die unzutreffende Arbeitszeiterfassung rechtfertige keine fristlose Kündigung, sondern allenfalls eine Abmahnung. Im Übrigen sei die Kündigung nicht innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen worden. Die Kündigung sei nicht unverzüglich nach Zustimmung des Integrationsamtes erklärt worden. Nach § 91 SGB IX sei nicht die Zustellung, sondern nur die Kenntnis von der Entscheidung des Widerspruchsausschusses maßgeblich, die schon am 19. Februar 2002 vorhanden gewesen sei.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 27. März 2002, zugegangen am gleichen Tag, unwirksam ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, in dem durch Dritte veranlassten Abstempeln der Zeiterfassung sei ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zu sehen, zumal sich aus der unrichtigen Zeiterfassung von drei Stunden ein nicht geringfügiger Vermögensvorteil für den Kläger in Höhe von 56,41 Euro ergebe. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten. Es komme auf die Zustellung des Widerspruchsbescheides an, weil das Widerspruchsverfahren eine förmliche Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides fordere.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Begründung

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Anders als im Falle der zustimmenden Entscheidung des Integrationsamtes nach § 91 SGB IX beginne die Frist des § 626 Abs. 2 BGB erst ab der Existenz eines rechtswirksamen Widerspruchsbescheides zu laufen. Notwendige Voraussetzung für die Wirksamkeit des Widerspruchsbescheides sei dessen Bekanntgabe. Dies ergebe sich aus dem das Widerspruchsverfahren regelnden § 118 SGB IX iVm. § 73 Abs. 3 VwGO. Danach setze eine ordnungsgemäße Bekanntgabe die Zustellung des schriftlichen Widerspruchsbescheides voraus. Auch sei ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB gegeben. Das Fehlverhalten des Klägers stelle eine schwerwiegende Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar.

B. Dem stimmt der Senat im Ergebnis und in Teilen der Begründung zu.

I. Im Ergebnis zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27. März 2002 nicht verspätet erfolgt ist.

1. Allerdings hat die Beklagte mit dem Ausspruch der Kündigung am 27. März 2002 die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts beginnt die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht erst mit Zustellung des schriftlichen Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses bei dem Integrationsamt zu laufen.

a) Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebende Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 478/01, BAGReport 2003, 199 = AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1; v. 28.10.1971 – 2 AZR 32/71, BAGE 23, 475; v. 6.6.1972 – 2 AZR 386/71, BAGE 24, 341). Jedenfalls am 10. Oktober 2001, als sie die Zustimmung des Integrationsamtes zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung beantragte und den Betriebsrat anhörte, hatte die Beklagte die danach erforderliche Kenntnis.

b) Ist die Frist des § 626 Abs. 2 BGB – wie im vorliegenden Fall – bereits abgelaufen, stellt § 91 Abs. 5 SGB IX sicher, dass der Arbeitgeber die Kündigung auch noch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB aussprechen kann (Müller-Wenner/Schorn, SGB IX, § 91 Rz. 21). § 91 Abs. 5 SGB IX will dem Umstand Rechnung tragen, dass es dem Arbeitgeber eines zu kündigenden schwerbehinderten Arbeitnehmers regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Die Vorschrift dient dem Schutz des Arbeitgebers (zu § 21 Abs. 5 SchwbG 1986 BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 380/00, BAGE 99, 358).

2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich aber deshalb als richtig dar (§ 561 ZPO), weil die Kündigung der Beklagten am 27. März 2002 rechtzeitig erfolgte.

a) Nach § 91 Abs. 5 SGB IX kann die Kündigung auch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt erklärt wird. Einer förmlichen Zustellung der Zustimmungsentscheidung vor Ausspruch der Kündigung bedarf es nicht.

b) Der Arbeitgeber kann die außerordentliche Kündigung erklären, sobald die Entscheidung des Integrationsamtes im Sinne des § 91 Abs. 3 SGB IX “getroffen” ist. Das ist bereits dann der Fall, wenn das Integrationsamt dem Arbeitgeber die Entscheidung mündlich oder fernmündlich bekannt gegeben hat (so zum inhaltsgleichen § 21 SchwbG 1986 BAG v. 15.11.1990 – 2 AZR 255/90, AP SchwbG 1986 § 21 Nr. 6 = EzA SchwbG 1986 § 21 Nr. 3; v. 12.8.1999 – 2 AZR 748/98, AP SchwbG 1986 § 21 Nr. 7 = EzA SchwbG 1986 § 21 Nr. 10). Dann hat der Arbeitgeber sichere Kenntnis davon, dass das Integrationsamt in seinem Sinne entschieden hat. Er braucht dann nicht mehr mit der Kündigung zu warten und darf es auch nicht, weil er ansonsten nicht unverzüglich kündigen würde.

c) Wird, wie im vorliegenden Fall, die Zustimmung erst durch den Widerspruchsbescheid erteilt, so gelten die selben Grundsätze (KR/Etzel, 7. Aufl., § 91 SGB IX Rz. 26; Neumann/Braasch Handbuch, SGB IX, § 19 Rz. 252; MünchArbR/Cramer, 2. Aufl., Ergänzungsbd., § 236 Rz. 81; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 10. Aufl., § 91 Rz. 26 f.).

aa) Zwar regelt § 91 Abs. 5 SGB IX unmittelbar nur die Zustimmung durch das Integrationsamt. Die weitgehende Übereinstimmung der Interessenlagen und Verfahrenskonstellationen rechtfertigt jedoch die Anwendung des in § 91 Abs. 5 SGB IX zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens auch auf die hier gegebene Konstellation. Der Arbeitgeber kann – und muss – auch dann, wenn die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung vom Widerspruchsausschuss erteilt wird, bereits dann unverzüglich kündigen, wenn er sichere Kenntnis davon hat, dass der Widerspruchsausschuss die Zustimmung erteilt.

bb) Die Vorschrift des § 91 Abs. 5 SGB IX dient der Beschleunigung des Zustimmungsverfahrens im Interesse des Arbeitgebers. Dies Beschleunigungsinteresse besteht auch im Widerspruchsverfahren. Damit wäre es nicht vereinbar, wenn der Arbeitgeber die förmliche Zustellung abwarten müsste, obwohl der Widerspruchsausschuss seine Zustimmung mündlich eindeutig bekannt gegeben hat. Denn das Kündigungsrecht ist ohnehin durch das im Interesse des Behindertenschutzes durchgeführte Verwaltungsverfahren in zeitlicher Hinsicht erheblich belastet.

d) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Widerspruchsausschuss bei dem Integrationsamt bereits in seiner mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2002 bekannt gegeben, dass er dem Widerspruch der Beklagten statt gibt und den ablehnenden Bescheid des Integrationsamtes vom 23. Oktober 2001 aufhebt. Die Kündigungserklärungsfrist hat damit, wenn die Erklärung des Widerspruchsausschusses eindeutig war, bereits am 19. Februar 2002 begonnen.

e) Gleichwohl ist die Kündigung hier noch “unverzüglich” erklärt worden.

aa) Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeutet “unverzüglich” nach dem allgemeinen Rechtsverständnis ohne schuldhaftes Zögern. Schuldhaft ist ein Zögern dann, wenn das Zuwarten durch die Umstände des Einzelfalles nicht geboten ist (RG v. 22.2.1929 – II 357/28, RGZ 124, 115 [118] = JW 1929, 1457; Kramer in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 121 Rz. 7). “Unverzüglich” bedeutet damit weder “sofort” noch ist damit eine starre Zeitvorgabe verbunden (Müller-Wenner/Schorn, SGB IX, § 91 Rz. 22). Es kommt vielmehr auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an (BGH v. 26.1.1962 – V ZR 168/60, DB 1962, 600).

bb) In dem Zeitpunkt, in dem die Beklagte darüber entscheiden musste, ob sie die Kündigung bereits nach mündlicher Bekanntgabe der Zustimmung aussprechen konnte, war die hier entschiedene Rechtsfrage ungeklärt. Wie das Berufungsurteil zeigt, war die Auffassung der Beklagten, die Zustellung müsse abgewartet werden, vertretbar. Dem Arbeitgeber, der seinem rechtlich relevanten Verhalten eine dem Arbeitnehmer günstige, nachvollziehbare Rechtsauffassung in einer höchstrichterlich nicht entschiedenen Frage zugrundelegt, kann kein Verschuldensvorwurf gemacht werden.

cc) Die außerordentliche Kündigung wurde nach Zustellung des Widerspruchsbescheides am 26. März 2002 unverzüglich erklärt. Die Kündigung ist im Sinne des § 91 Abs. 5 SGB IX “erklärt”, wenn sie dem schwerbehinderten Arbeitnehmer gemäß § 130 BGB zugegangen ist (BAG v. 3.7.1980 – 2 AZR 340/78, BAGE 34, 20). Das war hier am 27. März 2002 der Fall.

f) Zwar besteht der Schutzzweck der Kündigungserklärungsfristen bei außerordentlichen Kündigungen auch darin, für den Vertragsteil, der die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung verwirklicht hat, Rechtssicherheit zu schaffen. Für diesen soll nicht auf unangemessen lange Zeit ungewiss bleiben, ob der andere Teil daraus kündigungsrechtliche Folgen zieht (ErfK/Müller-Glöge, 5. Aufl., § 626 BGB Rz. 246). Aus dem Verstreichenlassen der Zeit zwischen der mündlichen Bekanntgabe der Entscheidung des Widerspruchsausschusses in der Sitzung und der Zustellung des Bescheides konnte der Kläger aber nicht ableiten, dass der Arbeitgeber, nun – nach Einlegung des Widerspruchs gegen die ablehnende Entscheidung des Integrationsamtes – auf den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung hätte verzichten wollen.

II. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, dass ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vom 27. März 2002 vorlag.

1. Rechtsfehlerfrei ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu stempeln, an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 832/98, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53, zu II 3 der Gründe; v. 9.8.1990 – 2 AZR 127/90 – RzK I 8c Nr. 18, zu II 5 der Gründe; v. 13.8.1987 – 2 AZR 629/86, RzK I 5i Nr. 31; v. 27.1.1977 – 2 ABR 77/76, AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 16; v. 23.1.1963 – 2 AZR 278/62, BAGE 14, 42; ErfK/Müller-Glöge, 5. Aufl., § 626 BGB Rz. 158 m.w.N.; KR-Fischermeier, 7. Aufl., § 626 BGB Rz. 444; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Aufl., Rz. 713). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an (BAG v. 12.8.1999 – 2 AZR 832/98, AP BGB § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53, zu II 3 der Gründe; LAG Köln v. 22.5.2003 – 6 (3) Sa 194/03, LAGE BGB § 626 Nr. 150). Überträgt ein Arbeitgeber den Nachweis der täglich bzw. monatlich geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst (Selbstaufzeichnung) und füllt der Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar.

2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist die Pflichtverletzung des Klägers auch als schwerwiegend anzusehen. Unstreitig hat der Kläger seinen Arbeitsplatz gegen 20.00 Uhr verlassen, ohne sich bei seinem Vorgesetzten abgemeldet zu haben, und einen Arbeitskollegen veranlasst, an seiner Stelle zum Arbeitsende 23.00 Uhr die Zeiterfassung für ihn abzustempeln. Dabei ist der Kläger gezielt vorgegangen. Er hat sich mit Hilfe eines Arbeitskollegen einen Verdienstvorteil von ca. 50 Euro zu verschaffen versucht.

a) Die Revision rügt zu Unrecht, die Beklagte habe gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, indem sie angesichts der Pflichtverletzung des Klägers ohne Abmahnung sofort zum äußersten Mittel der außerordentlichen Kündigung gegriffen habe. Die Beklagte war nicht auf das mildere Mittel einer Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung verwiesen. Die Wertung des Landesarbeitsgerichts, unter den gegebenen Umständen sei gegenüber einer fristlosen Kündigung eine Abmahnung als mildere Maßnahme nicht in Betracht gekommen, hält sich im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz.

b) Eine Wiederherstellung des Vertrauens ist nicht zu erwarten. Die Vorgehensweise des Klägers bietet Anlass zu der Befürchtung, dass ähnliche Pflichtverletzungen in der Zukunft nicht auszuschließen sind. Die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens war dem Kläger auch ohne weiteres erkennbar. Er konnte nicht mit vertretbaren Überlegungen davon ausgehen, dass die Beklagte es hinnehmen werde, wenn er unter Ausnutzung der nur unvollkommenen Kontrolle versuchte, Lohn zu erhalten, der ihm nicht zustand. Hinzu kommt, dass der Kläger einen anderen Arbeitnehmer in sein eigenes Fehlverhalten verstrickte.

c) Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich auch nicht aus der Tatsache, dass es sich um ein einmaliges Fehlverhalten des Klägers in seiner zehnjährigen Betriebszugehörigkeitsdauer ohne Beanstandungen handelt, das Erfordernis einer Abmahnung herleiten. Das Berufungsgericht hat durchaus berücksichtigt, dass es sich um einen erstmaligen Verstoß gehandelt hat, aber dazu die Auffassung vertreten, dass der Arbeitgeber bei einem Arbeitnehmer, der einmal sich vorsätzlich unter den hier vorliegenden erschwerenden Umständen einen rechtswidrigen Vorteil verschaffen wollte, befürchten muss, dass er dies auch zukünftig wieder versucht. Diese Würdigung hält sich im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Tatsachengerichts.

3. Auch die abschließende Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts, wonach das sofortige Beendigungsinteresse der Beklagten die Bestandsschutzbelange des Klägers überwiegen, hält sich im Rahmen des revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums der Tatsacheninstanz.

a) Das Landesarbeitsgericht hat ausdrücklich zugunsten des Klägers seine langjährige Betriebszugehörigkeit, seine Schwerbehinderung mit denkbaren Auswirkungen auf die Chancen am Arbeitsmarkt wie dessen Familienverhältnisse berücksichtigt.

b) Wenn es unter Berücksichtigung aller dieser für den Kläger sprechenden Umstände dennoch zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Interessen der Beklagten an einer fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegen, weil die Beklagte dem Kläger auf Grund seines Verhaltens nicht mehr bei der Dokumentation der – schwer durch die Beklagte überprüfbaren – Arbeitszeiten vertrauen könne, so lässt diese Bewertung keinen Rechtsfehler erkennen. Die Beklagte brauchte es nicht hinzunehmen, in absehbarer Zukunft ihr Vermögen durch weitere ähnliche Pflichtverletzungen des Klägers zu gefährden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte auf wahrheitsgemäße Angaben des Klägers angewiesen ist, weil sie nicht alle Arbeitsbereiche – insbesondere die Zeiterfassung – so kontrollieren kann, dass Pflichtverletzungen der Arbeitnehmer zwingend aufgedeckt würden.

c) Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, das Landesarbeitsgericht habe bei der Interessenabwägung unberücksichtigt gelassen, dass es sich bei dem Fehlverhalten des Klägers um einen einmaligen Vorfall während der zehnjährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers gehandelt habe. Zwar kann die Einmaligkeit eines Fehlverhaltens bei langjährig unbeanstandeter Arbeitsleistung ein milderes Licht auf den Kündigungsvorwurf werfen (BAG v. 27.1.1977 – 2 ABR 77/76, AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 16), worauf die Revision hinweist. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Gesichtspunkt jedoch berücksichtigt, ohne ihn allerdings im Rahmen seiner Ausführungen zur Interessenabwägung ausdrücklich zu erwähnen. Der Sache nach hat es indes auf die besondere Leichtfertigkeit, mit der der Kläger seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzte und den rücksichtlosen Vertrauensmissbrauch als Umstände verwiesen, die es ausschließen, den Vorgang im milderen Licht zu sehen. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass trotz des einzigen Vorfalls während der zehnjährigen Betriebszugehörigkeit das Vertrauen der Beklagten zerstört sei. Diese Würdigung ist gut nachvollziehbar und verletzt den revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab nicht.

C. Dem Kläger fallen gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zur Last.

Rost      Bröhl       Schmitz-Scholemann

Bartz       Walter

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Vorinstanzen: LAG Baden-Württemberg, 18 Sa 41/03, Urteil vom 16.03.2004;

ArbG Stuttgart, 11 Ca 3529/02, Urteil vom 16.12.2003

 

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Fundstellen:

BB 2005, 2306