BAG – 2 AZR 205/90

Krankheitsbedingte Kündigung – anderweitige Weiterbeschäftigung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 07.02.1991, 2 AZR 205/90

Leitsätze des Gerichts:

  1. Auf die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen (§ 1 Abs 2 Satz 3 KSchG) kann der Arbeitgeber jedenfalls dann nicht verwiesen werden, wenn bei Ausspruch der Kündigung kein entsprechender anderweitiger Arbeitsplatz frei ist und auch nicht mit hinreichender Sicherheit voraussehbar ist, daß nach Abschluß der Maßnahmen eine Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund der durch die Fortbildung oder Umschulung erworbenen Qualifikation besteht.
  2. Es bleibt offen, wie sich die zeitliche Dauer und die mit der Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme verbundenen Aufwendungen des Arbeitgebers auf deren Zumutbarkeit auswirken.

 

Tatbestand

Die 1954 geborene, ledige Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 1. September 1969 beschäftigt. Sie absolvierte zunächst bis zum 30. Juni 1971 bei der Beklagten eine Lehre und war seitdem als angelernte Laborfacharbeiterin tätig. Sie war vorwiegend in der analytisch-physikalischen Abteilung eingesetzt und dort mit physikalisch-chemischen Messungen betraut. Ihr monatlicher Arbeitslohn betrug zuletzt 2.930,– DM brutto.

Seit 1980 fehlte die Klägerin wiederholt krankheitsbedingt (1980: 9 Arbeitstage, 1981: 25 Arbeitstage, 1982: 2 Arbeitstage, 1983: 37 Arbeitstage, 1984: 6 Arbeitstage, 1985: 14 Arbeitstage, 1986: 87 Arbeitstage – davon 54 Arbeitstage zusammenhängend, bis 31. Mai 1987: 72 Arbeitstage – davon 63 Arbeitstage zusammenhängend). Die Beklagte leistete in diesem Zeitraum Lohnfortzahlung in Höhe von 21.900,– DM.

Im Anschluß an die letzte Fehlzeit stellte die Hautärztin der Klägerin einen Allergiepaß aus, ausweislich dessen die Klägerin an einer Allergie leidet gegen Ethylendiamin, Epoxidharz und Holzteere. Gegen die durch die vorgenannten Stoffe hervorgerufenen allergischen Erscheinungen gibt es keine erfolgversprechenden Desensibilisierungsmaßnahmen. Nach einem im November 1987 für die Berufsgenossenschaft erstellten Gutachten des Zentrums für Dermatologie der Universität Frankfurt am Main soll die Klägerin den Kontakt zu den erwähnten Stoffen und auch überhaupt zu verschmutzenden Substanzen auf jeden Fall meiden. An ihrem Arbeitsplatz kam die Klägerin vornehmlich mit Ethylendiamin und Epoxidharzen in Berührung.

Die Beklagte stellte die Klägerin seit dem 1. Juli 1987 unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeitsleistung frei. In der Folgezeit verhandelten die Parteien, auch unter Einschaltung des Berufsbildungswerkes, über eine andere Verwendungsmöglichkeit der Klägerin. Eine Einigung wurde nicht erzielt.

Am 29. Januar 1988 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über die geplante Kündigung der Klägerin. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 2. Februar 1988. Er berief sich darauf, die Beklagte könne die Klägerin nach einer zumutbaren Umschulungsmaßnahme weiterbeschäftigen, der Werksarzt verweise insoweit auf einen Büroberuf. Mit Schreiben vom 2. Februar 1988 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis, wobei die Parteien sich darüber einig sind, daß diese Kündigung im Falle ihrer Wirksamkeit das Arbeitsverhältnis zum 31. März 1988 beendet hat.

Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Sie hat geltend gemacht, die Beklagte hätte sie auf anderen Arbeitsplätzen außerhalb des Chemiebereichs weiterbeschäftigen können. Sie – die Klägerin – hätte im Bereich "Küche/Kasino" eingesetzt werden können, dort habe die Beklagte seit August 1987 insgesamt drei Arbeitsplätze neu besetzt. Sie sei auch bereit gewesen, als Kraftfahrerin beschäftigt zu werden, die Beklagte habe am 1. Februar 1988 eine entsprechende freiwerdende Stelle anderweitig besetzt. Schließlich wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, ihr eine Umschulung zur Büroassistentin zu ermöglichen. Die Beklagte habe in den letzten Jahren jeweils zwischen 9 und 13 Büroassistentinnen sowie fünf bis sechs Industriekaufleute als Auszubildende eingestellt. Die Umschulung werde von der Berufsgenossenschaft finanziell gefördert. Wenn Arbeitnehmer in einem Betrieb eine normale Ausbildung machten, zahle die Berufsgenossenschaft für den Zeitraum der Ausbildung Übergangsgeld. Die Ausbildungszeit für Büroassistentinnen betrage zwei Jahre, die für Industriekaufleute drei Jahre, bei einem Schulabschluß mit Abitur sei eine Reduzierung auf zwei Jahre möglich. Da die Beklagte laufend ausbilde, habe sie auch entsprechende Arbeitsplätze zu besetzen, wenn die jeweilige Ausbildungszeit der Auszubildenden beendet sei. Die Beklagte brauche sie – die Klägerin – nur in ihre entsprechende Personalplanung einzubeziehen.

Die Klägerin hat beantragt

festzustellen, daß die Kündigung vom 2. Februar 1988 rechtsunwirksam sei und das Arbeitsverhältnis über den Kündigungstermin hinaus fortbestehe.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat vorgetragen, die Klägerin habe weder im Bereich "Küche/Kasino" noch als Kraftfahrerin eingesetzt werden können. Im Bereich "Küche/Kasino" beschäftige sie ausschließlich Mitarbeiter mit Fachkenntnissen, weil im Kasino auch Gäste und Geschäftspartner bewirtet würden. Darüber hinaus komme die Klägerin in diesem Bereich bei Reinigungsarbeiten mit Stoffen in Berührung, gegen die sie allergisch sei. Der Einsatz der Klägerin als Kraftfahrerin scheide ebenfalls aus. Von den Kraftfahrern werde ständig das Tragen schwerer Lasten bis zu 50 kg verlangt. Mit einer solchen Tätigkeit dürfe eine Arbeitnehmerin nicht beschäftigt werden.

Sie sei auch nicht verpflichtet, die Klägerin zur Büroassistentin umzuschulen. Unter Umschulung sei keine Ausbildung für einen anderen Beruf, sondern nur eine kurzfristige Bildungsmaßnahme zu verstehen. Die erstrebte Umschulung sei ihr auch finanziell nicht zumutbar, weil sie zumindest teilweise die Kosten der Ausbildung der Klägerin zur Büroassistentin tragen müsse. Die Klägerin erhalte zwar von der Berufsgenossenschaft ein Übergangsgeld, das 70 % des Betrages ausmache, der seinerseits 80 % des letzten Bruttoentgelts der Klägerin darstelle. Den Restbetrag müsse aber sie – die Beklagte – zuschießen.

Zudem bestehe eine Pflicht zur Umschulung für den Arbeitgeber nur dann, wenn feststehe, daß nach Abschluß dieser Maßnahme ein geeigneter freier Arbeitsplatz im Beschäftigungsbetrieb oder in einem anderen Betrieb vorhanden sei. Gerade dies stehe jetzt noch gar nicht fest. Es gehe nicht an, die Klägerin auszubilden, ohne daß bei Beginn der Maßnahme zu erkennen sei, ob sie nach ihrer Ausbildung überhaupt eingestellt werden könne.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten, um deren Zurückweisung die Klägerin bittet.

 

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und auf die Berufung der Beklagten unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

A. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Klägerin könne aufgrund ihrer Hautallergie die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit als Laborfacharbeiterin nicht mehr ausüben. Eine Weiterbeschäftigung in der Küche oder im Kasino scheide aus, weil die Klägerin für eine solche Tätigkeit nicht geeignet sei. Bei den notwendigen Reinigungsarbeiten komme sie nämlich mit verschiedenen aggressiven Mitteln in Berührung. Ebenso könne sie nicht im Fahrdienst eingesetzt werden, denn sie hätte hierbei Lasten von mehr als 10 kg nicht nur gelegentlich zu tragen. Eine entsprechende Beschäftigung würde deshalb gegen § 11 der Verordnung über die Beschäftigung von Frauen auf Fahrzeugen verstoßen.

Die Kündigung sei jedoch unwirksam, weil die Klägerin nach einer zumutbaren Umschulung als Büroassistentin hätte weiterbeschäftigt werden können. Der Aufwand für eine solche Umschulung sei nicht unverhältnismäßig hoch. Die Berufsgenossenschaft fördere auch eine innerbetriebliche Umschulung der Klägerin finanziell. Der Erfolg der Umschulung sei angesichts des Bildungsgrades und des Alters der Klägerin nicht ungewiß. Es komme hinzu, daß der Betriebsarzt die Umschulung der Klägerin für einen Büroberuf befürwortet habe. Es sei zu berücksichtigen, daß an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten keine Zweifel bestünden, die Klägerin seit 18 Jahren dem Betrieb angehöre und sie sich ihre Hauterkrankung sowie die Neigung dazu während der langjährigen jährigen Arbeit mit chemischen Substanzen bei der Beklagten zugezogen habe.

Nach Abschluß der Umschulung sei auch ein geeigneter freier Arbeitsplatz für die Klägerin vorhanden, denn die Beklagte könne, bezogen auf das voraussichtliche Ende der Umschulungsmaßnahme, für die Klägerin einen freien Arbeitsplatz einplanen. Bei der Beklagten seien in den letzten Jahren jeweils 9 bis 13 Auszubildende für den Beruf der Büroassistentin eingestellt worden. Auch das insoweit bereits absehbare Freiwerden eines Arbeitsplatzes sei zu berücksichtigen, wenn die Zeitspanne bis dahin so bemessen sei, daß ihre Überbrückung vom Arbeitgeber verlangt werden könne. Der Begriff des freien Arbeitsplatzes dürfe im Hinblick auf die möglicherweise zwei Jahre dauernde Umschulung nicht zu eng bestimmt werden.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

I. Das Landesarbeitsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, die krankheitsbedingte dauernde Unfähigkeit der Klägerin, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, könne den Arbeitgeber zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (Senatsurteile vom 30. Januar 1986 – 2 AZR 668/84 – NZA 1987, 555, 556; vom 28. Februar 1990 – 2 AZR 401/89 – EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 5) kann eine Kündigung sozial gerechtfertigt sein, sofern der Arbeitnehmer auf Dauer die geschuldete Leistung nicht mehr erbringen kann. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Berufungsgericht zutreffend bejaht. Es steht unstreitig fest, daß die Klägerin wegen ihrer Krankheit die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung als Laborfacharbeiterin nicht mehr ausüben kann.

II.1.Rechtsfehlerfrei hat das Landesarbeitsgericht auch unter Anwendung von § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG angenommen, für die Klägerin habe kein anderweitiger freier Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden, auf dem sie sofort hätte weiterbeschäftigt werden können.

a) Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist die Kündigung sozialwidrig, wenn der Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz in diesem Betrieb weiterbeschäftigt werden kann, nach Satz 2 Nr. 1 b der genannten Vorschrift gilt dies auch dann, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann und der Betriebsrat aus diesem Grunde der Kündigung widersprochen hat. Dies gilt auch bei einer Kündigung, die auf einen in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund gestützt wird (BAGE 29, 49, 53; 33, 1, 10 f. = AP Nr. 4 und 6 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, jeweils zu III 2 a bzw. II 2 c der Gründe). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats setzt die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung das Vorhandensein eines anderen freien Arbeitsplatzes voraus (vgl. BAGE 25, 278, 289 = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG 1969, zu III 2 der Gründe). Als frei sind solche Arbeitsplätze anzusehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind. Sofern der Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung mit hinreichender Sicherheit vorhersehen kann, daß ein Arbeitsplatz bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, zum Beispiel aufgrund des Ausscheidens eines anderen Arbeitnehmers, zur Verfügung stehen wird, ist ein derartiger Arbeitsplatz ebenfalls als "frei" anzusehen (so BAG Urteil vom 29. März 1990 – 2 AZR 369/89 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Bezüglich der Initiativlast hat der Arbeitnehmer nach ständiger Rechtsprechung – wie der Betriebsrat nach § 102 Abs. 2 BetrVG – im Zusammenhang mit der Kündigung darzutun, wie er sich eine andere Beschäftigungsmöglichkeit vorstellt (vgl. BAG Urteil vom 3. Februar 1977 – 2 AZR 476/75 – AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu II 2 der Gründe; vgl. auch BAGE 47, 26, 32 = AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969, zu II 1 b der Gründe).

b) Nach den in der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts konnte die Klägerin weder im Bereich "Küche/Kasino" noch im Fahrdienst eingesetzt werden. Im Bereich "Küche/Kasino" käme die Klägerin erneut mit solchen chemischen Substanzen in Berührung, die eine Allergie bei ihr auslösen können. Einer Beschäftigung der Klägerin im Fahrdienst steht § 11 Abs. 1 der Verordnung über die Beschäftigung von Frauen auf Fahrzeugen vom 2. Dezember 1971 (BGBl. 1 S. 1957) entgegen.

2.a) Nach § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG gilt Satz 2 entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der gesetzliche Tatbestand setzt auch hier voraus, daß nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen eine Weiterbeschäftigung möglich sein muß. Nach der Fassung des Gesetzes ist maßgebend das tatsächliche Vorhandensein eines freien Arbeitsplatzes zum Zeitpunkt der Beendigung der Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme. Eine Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung in dem Sinne, daß es dem Arbeitgeber zumutbar sein müsse, einen freien Arbeitsplatz zu schaffen, reicht nicht aus (so zutreffend KR-Becker , 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 397; KR-Etzel , 3. Aufl., § 102 BetrVG Rz 169; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 1 Rz 142 b; Kraft, GK- BetrVG, 4. Aufl., § 102 Rz 92).

b) Im vorliegenden Fall hat die Klägerin sich zwar darauf berufen, es stehe nicht fest, daß nach Abschluß ihrer Ausbildung kein Arbeitsplatz zur Verfügung stehe, sie hat jedoch selbst nicht substantiiert geltend gemacht, zum Zeitpunkt des Ausspruchs ihrer Kündigung sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen, gegen Ende ihrer ins Auge gefaßten Umschulung werde ein Arbeitsplatz für sie vorhanden sein. Soweit sie sich allein darauf beruft, die Beklagte könne einen entsprechenden Arbeitsplatz "einplanen", ist dieser Vortrag nicht ausreichend angesichts des Vorbringens der Beklagten, es sei zum Zeitpunkt der Beendigung einer Ausbildung der Klägerin tatsächlich kein freier Platz vorhanden. Die Klägerin hat auch nicht etwa geltend gemacht, die konkrete Personalplanung der Beklagten erstrecke sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren und es sei aufgrund der bereits festliegenden Planung wahrscheinlich, daß ein entsprechender Platz frei sein werde. Die Klägerin verlangt vielmehr eine Ausrichtung der Personalplanung über einen längeren Zeitraum auf ihre Person. Dies entspricht jedoch nicht der Gesetzeslage, die von freien Arbeitsplätzen ausgeht und nicht Eingriffe in die unternehmerische Personalplanung zur Schaffung freier Plätze festlegt.

Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Begriff des freien Arbeitsplatzes dürfe im Hinblick auf die vorliegend unter Umständen zwei Jahre betragende Dauer der Umschulung nicht zu eng gesehen werden, überzeugt nicht. Auch bei einer längeren Berufsausbildungsmaßnahme muß mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, daß nach deren Abschluß die Weiterbeschäftigung gewährleistet ist. Bildungsmaßnahmen zum Zwecke einer späteren anderweitigen Beschäftigung greifen stärker in die Rechtsstellung des Arbeitgebers ein als umgehend zu vollziehende Umsetzungen oder Versetzungen. Es erscheint deshalb nicht vertretbar, vom Arbeitgeber zeitaufwendige Umschulungsmaßnahmen zu verlangen, wenn hierdurch die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sichergestellt wird (vgl. Preis, Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 304; derselbe in HAS, § 19 F., Rz 99).

Soweit die Klägerin darauf verweist, die Beklagte bilde jährlich Büroassistenten aus, ist dieser Vortrag allein nicht erheblich. Nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses besteht nämlich keine Pflicht des Arbeitgebers, mit den Ausgebildeten Arbeitsverhältnisse einzugehen, wobei im konkreten Fall noch von wesentlicher Bedeutung ist, daß die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, sie bilde in diesem Bereich für den ganzen Konzern, nicht nur für ihren Betrieb oder ihr Unternehmen aus. Die betriebliche Ausbildung der Beklagten ist demgemäß eben nicht an ihren künftigen Bedarf an ausgebildeten Arbeitnehmern ausgerichtet. Es kann deswegen dahingestellt bleiben, ob bei einer ausschließlich betrieblichen Interessen dienenden Ausbildung mehr als eine nicht ausreichende Möglichkeit für die Erwartung spricht, die Auszubildenden oder Umschüler nach Abschluß der Maßnahme auf einem dann freien Arbeitsplatz im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses einsetzen zu können.

c) Der Abschluß eines Berufsausbildungsvertrags mit der Klägerin wäre auch nicht als mildere Maßnahme gegenüber einer Kündigung zu erwägen. Auch die mildere Maßnahme muß nämlich zur Konfliktbereinigung geeignet sein. Das ist dann nicht der Fall, wenn die Kündigung deshalb nicht vermieden werden kann, weil ein freier Arbeitsplatz, auf dem der dann ausgebildete Arbeitnehmer eingesetzt werden könnte, bei Wegfall der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit nicht vorhanden ist und wenn nicht hinreichend wahrscheinlich ist, daß ein Arbeitsplatz nach Abschluß der Maßnahme verfügbar sein wird.

3. Fehlt es somit schon an dem Vorliegen eines freien Arbeitsplatzes, auf dem die Klägerin nach erfolgreicher Beendigung ihrer Ausbildung beschäftigt werden könnte, so bedarf es keiner Entscheidung, ob der Beklagten im Falle der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung die Umschulung der Klägerin zumutbar gewesen wäre. Weder die Frage, was begrifflich unter einer "zumutbaren" Umschulung zu verstehen ist, noch diejenige, welche zeitlichen Komponenten beachtlich sind, wird in der Literatur eingehend behandelt. Deshalb weist der Senat im Interesse einer weiteren Rechtsentwicklung auf folgendes hin:

a) § 1 Abs. 2 KSchG wurde durch § 123 Nr. 1 BetrVG vom 15. Januar 1972 (BGBl. I, 17) sowie durch § 114 des Bundespersonalvertretungsgesetzes vom 15. März 1974 (BGBl.I, 693) um die nunmehr im Gesetz aufgeführten vier Widerspruchstatbestände erweitert.

b) Den Gesetzesmaterialien kann nicht eindeutig entnommen werden, was der Gesetzgeber unter dem Begriff zumutbare Umschulung oder Fortbildung verstanden hat. Im Rahmen der entstehungsgeschichtlichen Überlegungen kann es bedeutsam sein, daß mit dem Berufsbildungsgesetz vom 14. August 1969 und dem Arbeitsförderungsgesetz vom 25. Juni 1969 kurz vor der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 zwei Gesetze in Kraft getreten sind, die den Begriff der Umschulung in Anlehnung an den allgemeinen Sprachgebrauch definieren (vgl. § 1 Abs. 4 BBiG, § 47 Abs. 1 AFG). Es wäre allerdings verfehlt, die Begriffsbestimmung des AFG und die des BBiG unbesehen für das Kündigungsschutzgesetz ohne weiteres voll zu übernehmen. Das Arbeitsförderungsgesetz und das Berufsbildungsgesetz verfolgen das Ziel, einen Abschluß in einem anerkannten Ausbildungsberuf, zumindest aber einen beruflichen Abschluß zu ermöglichen (vgl. Knigge/Ketelsen/Marschall/ Wittrock, AFG, 2. Aufl., § 40 Rz 3 ff., § 47 Rz 5 ff.; Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl., S. 53). Beide Gesetze sprechen demgemäß auch von beruflicher Umschulung, während das Kündigungsschutzgesetz nur von Umschulung spricht. Für die rechtliche Bedeutsamkeit dieser sprachlichen Unterschiede könnte sprechen, daß der Gesetzgeber die Neuregelung im Anschluß an die Senatsentscheidung vom 7. Mai 1968 (BAGE 21, 6 = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; Anm. zu vorstehender Entscheidung von Herschel, AR-Blattei (D) Kündigungsschutz, Entsch. 100/101; Hessel, ArbuR 1969, 31, Hiersemann, SAE 1969, 58) vorgenommen hat. Damals war darüber zu befinden, ob der Arbeitgeber einen Flugkapitän, dessen Tätigkeit arbeitsvertraglich nicht auf die Bedienung eines bestimmten Flugzeugtyps festgelegt war, nach Ausmusterung eines veralteten Typs auf das Fliegen moderner Maschinen entsprechend vorbereiten müsse. Der Erste Senat hat dies bejaht, weil aufgrund des technischen Fortschritts eine Weiterbildung notwendig sein würde. Eine restriktive Definition des Begriffs der Umschulung dahin, daß sich eine Umschulung nur auf bereits im Arbeitsverhältnis angelegte Tätigkeiten beziehen könne, kann dieser Entscheidung aber nicht entnommen werden, da das Gericht keine Veranlassung hatte, sich mit über den konkreten Fall hinausgehenden Aspekten zu befassen.

c) Im Schrifttum wird keine einheitliche Auffassung zum Begriff der Umschulung im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG vertreten. Preis (Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, S. 164, 169; ders., HAS § 19 F Rz 99) meint, die Bestimmung einer zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahme könne nur unter Heranziehung arbeitsvertraglicher sowie betriebs- und unternehmensbezogener Umstände erfolgen. Preis will den Begriff der "Zumutbarkeit" offenbar nicht isoliert unter dem Aspekt der Finanzierbarkeit, sondern auch unter Würdigung der gesamten Vertragsbeziehungen und des konkreten Kündigungssachverhalts erfaßt wissen.

Etzel, (aaO, § 102 BetrVG Rz 169 c), Kraft (aaO, § 102 Rz 93) und Schlochauer (Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 102 Rz 120) führen aus, mit der Umschulung und der Fortbildung sei in der Regel eine Änderung der Vertragsbedingungen verbunden. Wenn sich hieraus auch nicht zwingend folgern läßt, unter Umschulung sei immer eine Ausbildung zu einer anderen beruflichen Tätigkeit zu verstehen, so schließen die genannten Autoren eine solche Möglichkeit aber wohl nicht aus.

d) Es bedarf hier auch keiner abschließenden Festlegung, ob der Begriff der Umschulung i. S. von § 1 KSchG abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch ("Umschulung" bedeutet Ausbildung in einem anderen Beruf als dem bisherigen – so Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1983) im Sinne von Fortbildung zu definieren ist (unter Fortbildung wird die Weiterbildung in dem bisher ausgeübten Beruf verstanden). Die Revision verweist zwar darauf, nach einer im Schrifttum verbreiteten Ansicht (Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 141; Hueck, aaO, § 1 Rz 147; Knorr/Bichelmeier/ Kremhelmer, Die Kündigung, 2. Aufl., S. 162) stünden die Widerspruchsgründe des § 102 Abs. 3 Nr. 3 bis 5 BetrVG und daran anknüpfend die Sozialwidrigkeitsgründe des § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 KSchG in einem Subsidiaritäts- oder Stufenverhältnis. Sei die Weiterbeschäftigung nur zu geänderten Vertragsbedingungen möglich, so könne der Widerspruch nur auf § 102 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG gestützt werden, der ein Einverständnis des Arbeitnehmers in die geänderten Bedingungen voraussetze. Wie daraus folge, setze der Widerspruchsgrund des § 102 Abs. 3 Nr. 4 BetrVG (Umschulung) die Weiterbeschäftigung zu den gleichen Vertragsbedingungen voraus, was die Umschulung in einen anderen Beruf ausschließe. Diese Erwägungen sind aber nach der Auffassung des Senats nicht zwingend. Aus der Formulierung in § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG kann nicht allein geschlossen werden, das mit dem Wort "und" einbezogene Einverständnis des Arbeitnehmers beziehe sich ausschließlich auf eine Beschäftigung zu solchen geänderten Arbeitsbedingungen, die ohne Umschulung zur Verfügung ständen. Auch aus der nach Ziffern gegliederten Aufzählung der Alternativen in § 102 Abs. 3 BetrVG folgt nicht, daß eine kumulative Inanspruchnahme ausgeschlossen wäre. Allerdings hat der Senat bereits im Urteil vom 29. März 1990 (- 2 AZR 369/89 -, zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden, der Arbeitgeber sei bei Wegfall des bisherigen Arbeitsgebiets eines Arbeitnehmers nicht gehalten, ihm zur Vermeidung einer Beendigungskündigung eine freie Beförderungsstelle anzubieten. Der Senat hat in dieser Entscheidung ausgeführt, das KSchG sehe als geschütztes Rechtsgut den Arbeitsplatz und die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers an, die die Grundlagen seiner sozialen wirtschaftlichen Existenz bildeten; es solle ihm diese Rechtsgüter in den Grenzen des sozial und wirtschaftlich Vertretbaren sichern. Insoweit greife es in die unternehmerische Freiheit ein und suche einen Ausgleich der gegenläufigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer herbeizuführen. Der Gesetzgeber gehe bei der Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz bzw. unter geänderten Arbeitsbedingungen im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 b KSchG ersichtlich davon aus, daß die Bedingungen auf dem anderen Arbeitsplatz gleichwertig seien und die geänderten Arbeitsbedingungen nicht zu einer Beförderung in der Betriebshierarchie führten. Entsprechendes muß auch gelten für die Weiterbeschäftigung nach einer Umschulung des Arbeitnehmers, steht aber vorliegend einer Umschulung nicht grundsätzlich entgegen, weil es um eine Weiterbeschäftigung der Klägerin geht, die nach ihrem Vortrag die bisherigen Arbeitsbedingungen zwar ändern aber nicht im vorbehandelten Sinne verbessern würde.

 

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Vorinstanzen: Hessisches LAG, 7 Sa 521/89, Urteil vom 12.12.1989, ArbG Frankfurt am Main, 12 Ca 67/88, Urteil vom 17.01.1989

 

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Fundstellen:

BAGE 67, 198
NZA 1991, 806
DB 1991, 1730